Kaum einer der Begriffe, die in den Kink-Communities genutzt werden, ist richtig klar definiert. Das hat zum einen historische Gründe, denn der Begriff „Fetisch“ kommt aus der Psychologie. Früher wurde darunter eine ungesunde (wenn nicht sogar krankhafte) Abweichung des Sexualverhaltens von der gesellschaftlichen Norm verstanden. Wahrscheinlich benutzt man deshalb auch im deutschsprachigen Raum häufig den Begriff „kinky“, der für „versaut“ steht. In unserem Kontext benutzen wir „Fetisch“ für eine sexuelle Vorliebe. Ganz konkret kann dies die Liebe zu Fesselung, zu einer Dom/Sub-Dynamik sein oder ein spezifisches Interesse für ein bestimmtes Material oder Kleidung, wie Gummi, Strapse oder Strümpfe. Natürlich fallen auch sexuelle Praktiken wie Natursekt, die Verwendung von Sextoys oder Pegging unter unsere Definition eines Kinks bzw. Fetischs.
Somit gibt es Hunderte, wenn nicht Tausende von Fetischen – definitiv zu viele, um alle einzeln hier zu besprechen. Was auch immer dein persönlicher Fetisch sein mag, es ist das, was dich besonders an deiner Sexualität interessiert, weil es Teil deiner sexuellen Identität ist, bzw. deine ganz eigene sexuelle Identität ausmacht.
Wenn jemand so sehr auf seinen Fetisch fokussiert ist, dass andere Menschen völlig dahinter verschwinden, ja gar “entmenschlicht” werden, wird es allerdings problematisch. Nehmen wir an, du stehst auf mollige Frauen. Das ist natürlich völlig okay! Jedoch solltest du diese Vorliebe nicht zum Anlass nehmen, in einer Bar völlig wahllos alle Frauen auf unangenehme Weise anzubaggern, nur weil sie zufällig deinem Kink-Beuteschema entsprechen.
Dich mag die Vorstellung wahnsinnig erregen, jemandem die Schuhe sauber zu lecken. Doch sich bei der nächsten Party auf die Knie zu begeben und sich an jemandes Füßen an die “Arbeit” zu machen, wäre schlicht und einfach Belästigung. Verantwortungsvolle Kinkster leben ihren Fetisch nur mit einvernehmlich handelnden Erwachsenen aus!
Die Fetischisierung einer bestimmten Praktik oder Eigenschaft führt dazu, dass sich Menschen verletzt, entmenschlicht und objektiviert fühlen - und das völlig zurecht!
Einige Fetische sind problematisch. Ein kurzer Blick auf die Themenliste fast jeder Pornoseite bestätigt, dass „Asiatisch“, „Black“ oder „Latina“ dort als eigenständige Fetische gelten. Diese so genannten „Fetische“ stützen sich komplett auf Klischees und Stereotype, die im Kern rassistisch sind. Das macht den Alltag von Menschen, die diesen kulturellen Gruppen angehören, viel schwieriger, als er sein müsste.
Diese Gruppen sind keine Fetische – sie sind Menschen. Die Art und Weise, wie die Sexindustrie dieses Gruppen instrumentalisiert ist eine Fetischisierung, egal wie man es betrachtet.
Der Feeder-Fetisch, bei dem es um Fütterung bzw. Mästung geht, ist an sich ein völlig legitimer Fetisch, der von seinen Liebhabern erkundet und diskutiert wird. Allzu oft sind jedoch Menschen in dieser Community darauf versessen, Körper und die Gewichtszunahme von Menschen zu fetischisieren, die dem überhaupt nicht zugestimmt haben. Es scheint diesen Leuten völlig egal zu sein, ob sich das Objekt ihrer Begierde überhaupt für ihren Kink interessiert. Es geht ihnen nämlich überhaupt nicht darum, einen Partner als vollwertige Person kennen und schätzen zu lernen, sondern allein darum, ihren Feeder-Fetisch zu befriedigen.
Wir stoßen hier an eine wichtige Grenze, die wir ganz genau benennen müssen: Es ist okay, bestimmte Fantasien zu haben. Ich würde sogar so weit gehen zu sagen: Absolut jede sexuelle Fantasie ist erst einmal legitim. Denn wir wollen und können nicht so weit gehen, Fantasien zu reglementieren, schließlich landen wir damit bei George Orwells Gedankenpolizei. Nein, danke!
Es ist völlig okay, wenn du eine Frau in der U-Bahn siehst, und es dich erregt, weil sie ihre Beine auf eine besondere Weise übereinanderschlägt, oder weil sie ein Paar Stiefel trägt, das du besonders toll findest. Solche Gedanken haben wir – glaube ich – alle! Nicht okay ist es jedoch, diese Frau mit deiner Erregung zu nerven. Behalte deine Begeisterung einfach für dich. Du musst davon ausgehen, dass kaum eine Frau in der U-Bahn sich danach verzehrt, das Objekt der sexuellen Fantasien eines x-beliebigen anderen Fahrgasts zu sein. Im Gegenteil werden es die allermeisten Frauen als Belästigung empfinden, wenn du sie von deiner Erregung wissen lässt. Dass du es gut meinst, und (aus deiner Perspektive) keine Bedrohung darstellst, spielt dabei keine Rolle.
Objektivierung, Fetischismus und Fetischisierung sind nicht dasselbe.
Bei einigen wenigen Fetische geht es um genau diese Art der Fetischisierung. Das “Race Play” greift oben genannte Aspekte auf und ist unter dunkelhäutigen Kinkstern weiter verbreitet, als man annehmen könnte. Ebenso sind homophobe Verunglimpfungen für einige schwule Männer ein gängiger Bestandteil ihrer BDSM-Praktiken.
Bimbofizierung mutet beinahe wie eine Parodie auf das Konzept der Fetischisierung an. In gewisser Weise kann man sagen, ist die Fetischisierung in diesem Szenario der Fetisch. Das Gleiche gilt für andere Kinks, die auf die Objektivierung und Entmenschlichung der beteiligten Personen abzielen. Der Unterschied besteht darin, dass die Beteiligten hier wissen, dass sie echte Menschen sind. Sie haben dem Spiel vorab zugestimmt, und dann findet alles im Rahmen der Einvernehmlichkeit statt.
Ein vernünftiger Kinkster praktiziert seine Kinks nur, wenn alle Beteiligten allen Aspekten zustimmen, egal ob in einer liebevollen, langfristigen Beziehung oder in einer vorher ausgehandelten einmaligen Begegnung, oder irgendetwas dazwischen. Ein richtiger “Fetischist” hingegen im Sinne der Fetischisierung ist nur auf seine eigene Befriedigung aus und verhält sich damit automatisch auf eine Art und Weise, die den anderen Mitspielern mindestens Unbehagen bereitet oder ihnen sogar schadet.
Selbst eine echte 24/7-Beziehung funktioniert nur, wenn alle Partner einvernehmlich handeln und wissen, dass alle anderen glücklich sind in der Beziehung und sich erfüllt und sicher fühlen können. Übrigens gilt das nicht nur für dominante Partner. Auch Unterwürfige können in diese Fetischisierungs-Falle tappen, wenn der Top nur noch als Top wahrgenommen wird, und seine gewöhnlichen, menschlichen Bedürfnisse ignoriert werden.
Wenn einer der Aspekte in diesem Text auf dich zutrifft, ist es vielleicht an der Zeit, die Rolle des Kinks in deinem Leben zu überdenken. Das bedeutet nicht, dass eine Beziehung, bei der ein Kink oder ein Fetisch eine wichtige Rolle spielt, keine vollwertige Partnerschaft ist.
Du musst sicherstellen, dass deine Partner für dich mehr sind als Objekte deines Fetischs. Überprüfe es doch einfach: Welche anderen Gemeinsamkeiten habt ihr? Sprecht ihr auch über alltägliche, nicht sexuelle Dinge? Oder bist du sauer, wenn euch das “richtige” Leben dazwischenkommt?
Wenn die Beziehung wirklich nur dem Fetisch dient, sollte das unbedingt ausdrücklich besprochen werden.
Was ist deine Meinung zu Fetischisierung? Ist dein Kink ein Fetisch oder eine Fetischisierung?
Abi Brown ist freiberufliche Autorin und Hobbyschreiberin, die sich mit Kinks und linker Politik beschäftigt und normalerweise viel zu viel Schmuck trägt, so ihre Worte. Übersetzt von Tomasz Bordemé, Autor und Blogger, der über BDSM und Erotik schreibt.
Fotos von Shutterstock
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