Ferngesteuert

[Königinsweg]

Prolog

 

Auf der Landkarte meiner Erlebnisse finden sich weite graue Gebiete – Zonen, in denen zwar eine Menge Spaß und Erfolg, Aufregendes und Glück, Positives und Zufriedenheit herrschen, aber die ich trotzdem als grau markiere. Die Farbe steht auf einer Skala mit dem Namen „Kontrolle“ und grau sind eben die Gebiete, die ich selbst steuere und beherrsche. Und das sind sehr weite Gebiete auf dieser Karte. Ich habe es nie wirklich ausgemessen, aber grau beherrscht diese Karte wohl zu mindestens 95 %. Und eigentlich ist mir das auch ganz recht so: denn ich liebe es, die Dinge zu beherrschen. Und das erklärt diese Menge an grau, die auf den Landkarten der meisten Menschen vielleicht sogar 100 % einnimmt. Aber tief in mir wohnt etwas, was immer wieder nach "bunt" schreit. Nein, nicht nach schwarz, diese Farbe steht auf dieser Landkarte eher für Krankheit und Tod, die auch recht schlecht zu beherrschen sind. Es ist das "aufregende bunt" was mich so magisch anzieht: der bewusste Verlust der Kontrolle, die Hingabe an das Unberechenbare, etwas, was mir wohl kaum jemand zutraut, der mich aus meinem grauen Leben kennt...

 

 

 

 

Ein Donnerstag im Dezember

 

Seit Wochen hatte er um ihre Aufmerksamkeit gebuhlt. Er hatte versucht, interessant zu sein ohne aufdringlich zu werden. Sich ihr anzubieten und trotzdem devot zu bleiben. Sich ihr von Anfang an unterzuordnen ohne dabei langweilig zu wirken. Nein, sie war nicht die erste Frau, bei der er das versuchte, aber sie war die erste seit vielen Jahren und er ertappte sich etwas nervös in seiner Überzeugung, dass dieser Versuch der ehrlichste und aufrichtigste in seinem Leben war – und er hätte alle vorherigen keineswegs als unaufrichtig oder unehrlich betrachtet. Ja, es war ihm wichtig, dass sie um diese Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit wusste. Wenn sie sich dann gegen ihn entscheiden würde, dann hätte er sich selbst nichts vorzuwerfen. Und ihr natürlich schon gar nicht – im Gegenteil: er wusste um die objektiven Hindernisse, die zwischen ihr und ihm standen und er rechnete ihr es schon sehr hoch an, dass sie diese nicht einfach nutzte um ein simples "nein, danke" in den Messenger der Dating-Seite zu packen, auf der sie sich kennen gelernt hatten. 

 

So sehr er die gesamte Zeit über gehofft hatte, dass seine Mission irgendwann von Erfolg gekrönt würde, so unwahrscheinlich erschien ihm dies selbst aber in den rationalen Momenten, die sein Leben zu weiten Teilen beherrschen. Umso überraschter war er an diesem Morgen, als er in seinem Postfach ihre kurze Nachricht fand: 'Wenn du das alles ernst meinst, dann bist du nachher um Neun besser hier online. Und hast idealerweise um die Mittagszeit 1–2 Stunden zur freien Verfügung !'. Sein Herz pochte bis hoch zum Hals, und je öfter er die Nachricht las, desto höher wurde sein Puls. Nein, das war keine konkrete Anweisung – alles derartige hatte sie bisher konsequent unterlassen. Aber es war mit Abstand das deutlichste Zeichen von ihr dafür, dass sie eine Verwendung für ihn hatte. Und wenn es auch nur für "1–2 Stunden" wäre: für ihn war es die Chance, die er sich so sehnlich erhofft hatte. Also gab es für ihn gar keine Frage: natürlich würde er um Neun im Chat sein und ein paar Minuten später hatte er sich auch schon ein großzügiges Zeitfenster in die Mitte seines Arbeitstages freigekämpft. Und noch während er rekapitulierte, mit welch hanebüchener Ausrede er seine Assistentin dafür abgespeist hatte, kamen ihm erste Zweifel, ob er hier nicht ein wenig voreilig gewesen wäre. "Steigere dich doch nicht gleich so sehr da rein !" sagte er zu sich selbst. Aber dann wischte er seine Bedenken mit einem Lächeln fort: nein, in Wirklichkeit gab es gar keinen anderen Weg. Und schließlich fiel ihm selbst auf, dass sein Profilname auf diesem Portal genau das zum Ausdruck brachte: er hatte sich selbst das Synonym "all in" verordnet bei der Anmeldung. Ohne zu wissen, wer oder was ihn auf diesem Portal erwarten würde. Es war sein erstes Profil und alles, was ihn beim Anlegen leitete war der Gedanke, dem devoten Wesen in sich endlich mehr Raum zu geben. Das hatte er vor ein paar Monaten mit der Anmeldung getan, und das hatte er soeben mit der Freizeit am Mittag. "Ach, und schlimmstenfalls habe ich halt heute mal eine sehr lange Pause – irgendwas fällt mir schon ein, was ich damit Sinnvolles anfangen kann…".

 

Natürlich war er pünktlich. Natürlich war er aufgeregt, ob ihr Status-Licht von Rot auf Grün springen würde. Natürlich hatte er ein breites Lächeln im Gesicht, als er zuerst ihre Anwesenheit und dann Ihre Nachricht sah. Und die Kommunikation geriet viel einfacher, als er sich das vorgestellt hatte. Und obendrein nach einem kurzen Austausch von Begrüßungsfloskeln sehr zielgerichtet: 

 

    'So, und hast du denn heute Mittag Zeit für mich?' 

 

                                                                                              'Ja, Herrin !' 

 

Er zuckte ein wenig zusammen. Noch nie hatte er ihr gegenüber diese Anrede verwendet. Zum einen nicht, weil er nicht wusste, ob es ihr überhaupt recht war. Es gab ja da durchaus unterschiedliche Wünsche. Zum anderen war er mit ihr in eine Kommunikation auf Augenhöhe eingestiegen, oder zumindest etwas, was in seinem Kontext echt nah an Augenhöhe grenzte. Und bisher hatte sie ihm weder Anlass noch Notwendigkeit gegeben, dieses Level zu verlassen - tat er es jetzt freiwillig, riskierte er ihr Unverständnis. Aber er sorgte sich scheinbar umsonst: 

 

   'Sehr schön, ich hätte nämlich etwas mit dir vor! 
    Du kennst den goldenen Reiter? 
    Ja, die Statue - ich bin untröstlich wenn du kurzzeitig 
    an irgendetwas Sexuelles gedacht hast, ha ha… 🙂
    Also, wie lange brauchst du dahin ?' 

 

                                                               'Kurze Fahrt, Parkplatz suchen,
                                                           paar Schritte laufen: 15 Minuten'

 

   'Klingt sehr gut, d.h. also auch 15 Minuten zurück?' 

 

                                                                                               'Ja, Herrin'

 

   'Okay, kannst du pünktlich um zwölf da sein?'

 

                                                                                               'Ja, Herrin'

 

   'Ich kann mich auf dich verlassen und du kommst nicht
    in letzter Minute mit einer Ausrede ? 

 

                                               'Sie können sich voll auf mich verlassen! 
                                  Ich werde da sein, selbst wenn die Hölle zufriert!'

 

   'Na dann bis um zwölf! 
    Alles weitere dann hier per Nachricht. 

    Bis dann !'

 

                                                                       'Danke, Herrin. Bis dann !'

 

Eigentlich war er ja jemand, der Dinge auf die letzte Minute erledigte. Nicht unpünktlich, aber eben auch nicht vorfristig. Dass er jetzt geschlagene 10 Minuten vor dem vereinbarten Termin bereits in seinem geparkten Fahrzeug saß mit nur 2 Minuten Fußweg zum Treffpunkt, sah wirklich gar nicht nach ihm aus ! Er konnte und wollte es nicht verbergen: er war schrecklich aufgeregt. Was würde ihn erwarten? Könnte er ihren Ansprüchen genügen? Und überhaupt: was bildet er sich überhaupt ein, warum sollte solch eine wundervolle Frau überhaupt weiterführendes Interesse an ihm haben?? Verstohlen zuckte er sein Handy und riskierte einen Blick, ob es schon eine Nachricht von ihr geben würde oder ob sie vielleicht auf der Seite anwesend wäre. Aber kein Zeichen von ihr, und es war ja wirklich einfach noch zu zeitig dafür. Und so vertrieb er sich ein paar Minuten mit wilden Gedanken und machte sich schließlich auf den Weg zum endgültigen Ziel.

 

Der goldene Reiter ist eine Statue, die den sächsischen König August den Starken verkörpert, und das natürlich hoch zu Ross. Entgegen dem fühlte er sich alles andere als stark, als er jetzt neben dem Monument ankam. Viel zu viel Nervosität durchströmte seine Adern und er musste sich zwingen, zwei bis dreimal tief durchzuatmen und sich mit dem Gedanken daran, dass er doch gar nichts schlimmes tue, selbst zu beruhigen. Und was er gerade tat war ja eigentlich das Normalste der Welt. Wären da nicht all seine Hoffnungen, das unbedingte Gefühl, dienen zu wollen und die Ohnmacht gegenüber diesem dominanten Wesen oder sogar allem Dominanten in der Welt. Es waren genau die Dinge, die im Kopf passieren, die ihn an diesem Spiel so faszinieren– und just jene Dinge machten ihm nun das Leben schwer – denn realistisch und von außen gesehen war da nichts als ein Mann, der von einer Frau an einen Treffpunkt bestellt worden war. Was er jetzt brauchte, war Fokus – und den gab er sich mit einem Gedanken selbst: 'du tust das für dich, für das was du liebst, und für eine wunderbare Frau – also reiß dich zusammen und sei so perfekt wie möglich !'

 

Mit einem Lächeln zog er sein Handy aus der Tasche, entsperrte es und tippte auf die App, um einen Nachrichten-Eingang von ihr zu prüfen. Noch nichts da, aber auch noch 2 Minuten Zeit bis um zwölf. Er zog seinen Hals etwas tiefer in seine Jacke, denn der Wind blies doch recht kühl ums Eck. Aus den Augenwinkeln betrachtete er rechts und links die Aktivitäten auf dem großen Platz. Trotz der gerade kreisenden Pandemie waren doch viele Menschen unterwegs. Nahezu alle wie er mit Maske, dem Accessoire, der den Blickkontakt und das stumme Gespräch mit anderen Menschen so schwierig machte. Alle wirkten mehr oder weniger beschäftigt und kaum jemand blickte wirklich auf und nahm tatsächlich Notiz von dem einzelnen Mann neben dem Reiter… Die erste Glocke schlug zur vollen Stunden und der nächste Blick auf sein Handy enttäuschte ihn auch nicht mehr: zuerst sah er die '1' als Markierung für die neue Nachricht, dann ihrem Profilnamen und schließlich ihren Text:

 

‚So, ich bin ja gespannt, ob du wirklich zuverlässig bist. Zuerst stellst du dich mal vor das Pferd und schaust in dieselbe Richtung wie der Reiter über dir. Dann wendest du deinen Blick um 90° nach rechts – dort siehst du hinter ein paar Hecken eine kleine Gruppe von Installationskästen. Genau dahin wirst du als erstes für mich gehen. Hinter einer dieser Kästen steht ein wenig versteckt ein Schild mit einer Aufschrift und an dem Schild steckt ein Stift. Mit dem Stift wirst du deine Telefonnummer unter die Aufschrift schreiben, zum Reiter zurückkehren, dir das Schild um den Hals hängen damit es jeder lesen kann und damit genau eine halbe Stunde vor dem Reiter stehen bleiben. Falls dich jemand anspricht, wirst du ihm die Wahrheit erzählen über das was auf dem Schild steht oder warum du diesen Posten eingenommen hast. Du wirst keine Ausflüchte suchen, aber du wirst nicht erzählen, dass du von mir den Auftrag dazu bekommen hast. Lass dir was einfallen…

Stell dir einen Alarm auf deinem Handy, damit du die halbe Stunde nicht verpasst :-)

Wenn die Zeit um ist, kannst du verschwinden und das Schild entsorgen. 

Viel Spaß :-)‘

 

Sie hatte ihn nicht versetzt. Und viel mehr noch: sie hatte sich etwas einfallen lassen für ihn und sogar Vorbereitungen getroffen. Er fühlte sich großartig und verzweifelt zugleich: was hatte es mit diesem Schild auf sich? Noch tiefer hing er jetzt zwischen Baum und Borke: natürlich wollte er ihren Auftrag erfüllen. Aber natürlich war er auch ziemlich irritiert, was ihn da erwarten würde. Es gab für ihn gar keine Frage, jetzt etwa einfach zu verschwinden oder etwas ähnliches zu tun. Natürlich würde er vor den Reiter treten, den Blick nach rechts wenden, die Kästen ausfindig machen und dorthin laufen. Das war er sich selbst schuldig, aber vor allem ihr ! Und doch bewegte er sich etwas langsamer, als er sich sein Handeln für diesen Augenblick vorgestellt hätte. Denn schließlich hatte er doch seine Chance bekommen jetzt, und es macht ihn unglaublich glücklich. Also eigentlich sollte er nahezu rennen, aber sein Schritt blieb doch eher verhalten – die wenigen Schritte vor die Statue, und danach die vielen, bis er endlich diese Kästen erreicht hatte, die von der Position am Reiter aus gar nicht so leicht auszumachen waren. Und tatsächlich, hinter einem stand ein Schild, gut verdeckt von einer Betonumrandung, die sich in knappen Abstand dazu befand. Und den Stift konnte er auch schon daran klemmen sehen, bevor er dahinter griff und das Schild hochholte.

 

'Biete guten Sex mit Orgasmus-Garantie!'

 

Das sollte er sich um den Kopf hängen und der Welt zeigen ? Und dazu noch seine Telefonnummer darunter ?? Er wurde selten rot, aber in dem Augenblick glaubte er, dass nicht nur sein Kopf, sondern sein ganzer Körper anlaufen würde. Wenigstens fühlte es sich so an… 'Guter Sex' – niemals würde er so etwas von sich selbst sagen. Nicht, weil er es nicht einschätzen könnte: das war ein Vorteil seines Alters, dass er mittlerweile viel gelernt hatte und sich immer weiter verbessert hatte. Und mittlerweile nicht nur seinen Schwanz, sondern auch Finger, Zunge und vielleicht noch ein paar Dinge darüber hinaus so einsetzen könnte, dass er einer Frau ein echtes Erlebnis bereiten konnte. Wie unbeholfen er im Vergleich dazu früher gewesen war… Aber Moment: Auf dem Schild stand ja noch nicht mal etwas von 'Frau' – was wäre, wenn ihn ein Mann darauf anspricht oder hinterher anruft. Nein, er war nicht homophob, und er hatte auch schon sexuelle Kontakte mit dem einen oder anderen Kerl gehabt. Dann aber immer in Ausführung von Befehlen einer Herrin, nicht weil er geil drauf war (naja, geil war er dann schon drauf, aber eben nicht primär auf den Mann sondern eher auf den Mann als Werkzeug seiner Herrin). Und ja, selbst da war er fortgeschritten mittlerweile und konnte auch diesem Geschlecht sexuell einiges bieten. Aber gleich 'Orgasmus-Garantie' ? Das klang nach Prahlerei, nach Selbstüberschätzung. Niemals hätte er das selbst so formuliert (auch wenn er seit Ewigkeiten keine Partnerin mehr ohne 'verabschiedet' hatte... und die Kerle, die für ihn ausgesucht worden waren, kamen ohnehin tendenziell eher zu schnell). Aber diese Diskussion in seinem Kopf stand hier ja gar nicht zur Debatte: er hatte nur auszuführen, und all diese wilden Gedanken in seinem Kopf waren von ihr wahrscheinlich sehr wohl vorhergesehen gewesen. Und bestimmt auch gewollt. Bis hin zu der Frage, ob er jetzt wirklich seine echte Telefonnummer unter diese Zeile setzen sollte oder vielleicht lieber eine frei erfundene ?! Natürlich war das peinlich und auch nicht ganz ohne Risiko für ihn ! Was wenn einer ein Bild von ihm macht mit diesem Schild und seine Nummer und das Ding viral geht. Und es dann irgendwie in die falschen Hände kommt – wäre die falsche Nummer drauf, könnte er immer noch abstreiten, dass er es ist auf dem Bild. Die Gesichtsmaske wurde jetzt gerade zu seinem Freund… Aber er wollte ihr dienen ! Und ihr Auftrag war nicht, irgendeine Telefonnummer darunter zu schreiben, sondern seine…

 

Obwohl die Sonne nur sehr selten durch die Wolken hindurch blinzelte, wünschte er sich gerade seine Sonnenbrille herbei. Mit der über den Augen wäre das hier alles so viel einfacher. Niemand würde seine Augen sehen, niemand würde sehen, ob er den Blick erwidert, der ihm zugeworfen wird. Und die Blicke waren interessant: es gab zuerst die verständnislosen, meist von einem Kopfschütteln begleitet. Vor denen hatte er gar keine Angst – die würden wahrscheinlich nicht mal am Abendbrottisch von dem Bekloppten erzählen, der heute am Goldenen Reiter stand. Und wenn doch, dann wäre er nur eine Randnotiz. Aber es gab auch die lächelnden Blicke, die machten ihm schon eher Sorgen. Und am schlimmsten waren die prüfenden Blicke. Speziell als ihn der Gedanke überkam, dass dieser Kerl doch gerade schon einmal an ihm vorbeigegangen wäre. War er das wirklich? Er war sich nicht sicher. Aber so, wie der Kerl ihn anstarrte, war es eigentlich auch schon fast egal - man konnte förmlich sehen, wie er langsam im Vorbeilaufen versuchte, sich die Telefonnummer einzuprägen. Doch bevor er vertieft darüber nachdenken konnte, waren da schon die zwei Mädchen, die auf der anderen Seite an ihm vorbeiliefen und in seinem Rücken einen gemeinsamen Lachkrampf entwickelt hatten, der sich jetzt deutlich hörbar auf ihn zubewegte. Und so sehr er auch versuchte, unsichtbar zu werden, der Lachkrampf sprach ihn an: "oh Mann, was für eine geile Aktion ! Hast du eine Wette verloren oder sowas ?". Klar, das war doch die geniale Ausrede – alles nur ein Spaß, Wette verloren und jetzt den Wetteinsatz erfüllen. Für den Bruchteil einer Sekunde spürte er so etwas wie Erleichterung. Und dann sackte er wieder ein wenig tiefer: sie hat ausdrücklich gesagt: keine Ausflüchte. Und das wäre eine gewesen. Würde sie es jemals erfahren? Vielleicht nicht. Aber würde er es riskieren, sie zu enttäuschen? Nein, er wollte ihr gefallen, und wenn dazu gehört, dass er sich selbst erniedrigt, dann ist das eben so. Also seufzte er kurz in sich hinein, holte tief Luft und versuchte bewusst lässig zu antworten: "Nein, ich glaube, es gibt zu wenig Liebe unter den Menschen und zu wenig Befriedigung. Und außerdem ist doch bald das Fest der Liebe, oder ?". Zumindest ein sarkastisches Lächeln konnte er sich abringen um den Beiden zu zeigen, dass er kein staubtrockener Idiot ist. Und er erreichte damit sogar so etwas wie Anteilnahme von den Beiden. Mit ihrem geschätzten Alter von 17 oder 18 Jahren waren sie wohl zu alt, um jetzt ein 'Niedlich !' oder ähnliches zu äußern, aber atmosphärisch schwang etwas derartiges in der Luft. Die kleinere der beiden löste die Situation auf: "Können wir ein Selfie mit dir machen ?"

 

Die Aktion hatte für ihn zwei positive Punkte: zum einen nahm sie einfach Zeit von seiner 30 Minuten–Uhr, in der er in die Aktion mit den beiden Mädchen verwickelt war und weniger darüber nachdenken musste, wie peinlich das hier alles wäre. Minuten, in denen eher nicht verstohlen in fremde Gesichter schauen würde, ob und wie sie ihn wahrnehmen. Und daneben waren die Beiden noch sehr rücksichtsvoll, ohne dass er etwas sagen musste, was ja klar der Vorgabe seiner mysteriösen Frau im Hintergrund widersprechen würde. Ganz anständig nahmen sie Rücksicht auf ihn und verkündeten nahezu betroffen, dass sie natürlich nicht seine Handynummer mit aufs Bild nehmen würden. In seinem Kopf sagte er zu ihnen, dass sie doch noch 25 Minuten bleiben könnten und eine große Foto-Session mit ihm durchführen. Aber natürlich war das ganze nach wenigen Sekunden vorbei und mit einem kurzen "Danke" und dem mittlerweile gewohnten Gekicher waren die beiden auch schon wieder aus seiner Hörweite entfernt.

 

Bald hatte er sich die Zwei zurückgewünscht: Zuerst hatte ihn eine ältere Frau angesprochen, von welcher Sekte er denn sei und dass er doch verschwinden solle, weil sie doch eh alle nur lügen würden. Eigentlich wäre sie Anlass zum Schmunzeln gewesen, aber ihr Ton war doch ziemlich rüde und ihre Stimme war mehr als schmerzhaft in seinen Ohren. Aber sein Aufatmen wegen ihres Verschwindens gestaltet sich nur als kurzes Intermezzo, denn jetzt war ein Mann vor ihm aufgetaucht, der mit ruhigen, aber doch recht bedrohlichen Worten auf ihn einredete. Er mochte fünf oder gar zehn Jahre jünger sein als er selbst und verbreitete irgendwie eine bedrohliche Aura. Und seine Worte passten dazu: "Du, ich kenne ein paar ziemlich durchgeknallte Typen, wir würden dir Sau schon zeigen, wie solche Miststücke wie du behandelt werden müssen… Du kannst schon mal mitkommen und mir den Schwanz lecken, während ich die Anderen zusammentrommel !". Erwartungsgemäß hatte er wenig Verständnis für die Auskunft, dass er sich mit seinem Schild für die nächsten Minuten nicht vom Goldenen Reiter entfernen wolle. "Ach, du willst doch nur kneifen! Wahrscheinlich hast du doch nur Angst davor, mal so richtig rangenommen zu werden !".  Es gab noch ein paar deftige Worte, bevor der Kerl sich mit einem "Idiot  !!" wieder entfernte.

 

Es war eine wirklich sehr unangenehme Situation gewesen, und unter normalen Umständen hätte er dieser Situation auch nicht standgehalten. Das Einzige, woran er sich innerlich klammerte, war sein Wille, ihr zu dienen und ihren Willen umzusetzen. Und nein, er wäre sicherlich deswegen nicht bei Temperatur nahe Null in die Elbe gestiegen oder vor einen fahrenden Zug gesprungen. Es war keine blinde Gefolgschaft und würde es auch nie werden. Aber es war eben auch keine Situation aus der er hätte fliehen müssen, um sich selbst zu schützen. Es war die Szenerie, die sie ausgewählt hatte, und es waren erwartbare Vorgänge, die sich hier abspielen. Zumindest in den nächsten Minuten, die von Kopfschütteln, Ignoranz und ein paar verstohlenen Handy-Fotos bestimmt waren. Überraschender geriet dann die Begegnung mit einer offensichtlich wohlsituierten Frau etwa in seinem Alter. Sie hatte ihn und seine Botschaft offensichtlich schon auf einige Entfernung ausgemacht, ihren Weg, der eigentlich einige Meter neben ihm vorbeigeführt hätte, ein wenig angepasst und ihren Schritt immer weiter verlangsamt, bis sie in ungefähr 2 m Entfernung vor ihm zum Stehen kam: "Na das ist ja mal ein interessantes Angebot! Ist das auch wirklich ernst gemeint oder steckt hier irgendwo eine versteckte Kamera ?". Sie wirkte äußerst attraktiv auf ihn und hatte glasklare blaue Augen, mittels der sie bestimmt schon häufiger ihre Gegenüber entwaffnet hatte. Etwas verlegen ob ihre Schönheit und der allgemein kniffligen Situationen versuchte er vielleicht ein wenig übertrieben cool zu antworten: "Nein nein, hier ist alles echt und keine Kamera im Spiel. Mir geht es genau um solche Traumfrauen wie sie, die aus unerklärlichen Gründen nicht die Hingabe, Zeit und Ausdauer erhalten, die sie verdienen !". Offensichtlich hatte er den richtigen Ton getroffen, was bei diesem Gegenüber auch nicht wirklich schwer war. Die leicht errötete Frau neigte ihren Kopf, halb um nach etwas zu kramen in ihrer Handtasche, half aber wohl auch um die Errötung zu verbergen. Als sie wieder nach oben blickte, hatte sie sowohl das Gesuchte, als auch ihr Selbstvertrauen wieder gefunden: "Ich könnte mir vorstellen, dass wir dieses Gespräch an einem entspannteren Ort fortsetzen. Irgendwann müssen ja Bars und Cafés wieder mal aufmachen dürfen – vielleicht klappt das ja dann !". Oh ja, sie hatte ihr Selbstvertrauen im Wissen um ihre Schönheit wieder gefunden, lächelte ihn zufrieden an und steckte ihm im Vorbeigehen ihre Karte in die Jackentasche, schon halb aus seinem Rücken von einer freundlichen Verabschiedung begleitet: "Danke für das nette Gespräch und die Überraschung an diesem grauen Tag !". Er hatte seinen Kopf leicht zu ihr herumgedreht und ihr schon beinah hinterherrufen müssen: "Wegen solch netter Gespräche bin ich hier, gerne jederzeit wieder !". Er grinste noch etwas selbstgefällig als es seinen Kopf zurückwendete, warf einen kurzen Blick auf die Uhr und stellte zufrieden fest, dass schon über zwei Drittel seiner halbunfreiwilligen Leidenszeit vorüber war. Für den Augenblick war ihm richtig wohl in seiner Haut, was aber nicht lang halten sollte. Schon tauchten wieder Handy-Knipser vor ihm auf und was ihn richtig runterzog: der Kerl von vor einer Viertelstunde kreiste schon wieder um ihn herum. Er hatte sich also nicht getäuscht, der drehte hier wirklich Runden. Aber so schüchtern und bedrückt wie er scheu in seine Richtung schaute, konnte es noch Stunden dauern, bis er sich trauen würde, ihn anzusprechen. Und bis dahin wäre er längst über alle Berge. Also atmete er durch und grinste ein wenig selbstgefällig in sich hinein da er sich auf einmal recht sicher wähnte in den letzten 5 Minuten seiner Aufgabe.

 

Wie es oft ist im Leben – gerade, wenn man denkt, jetzt läuft es richtig, taucht Unheil auf. Das Unheil für ihn an diesem Tag trug blau und schwarz und die Aufschrift Polizei an einigen Stellen der Ausrüstung. Es handelte sich offensichtlich um Streifenpolizisten, eine recht junge Frau und ein etwa 40 Jahre alter Mann, die ihn zuerst anvisiert hatte und jetzt gemäßigten Schrittes Kurs auf seine Position nahmen. Sie waren noch gut 20 Schritte entfernt, aber sein Hirn ratterte wie wild. Nein, er hatte nicht wirklich Angst vor der Ordnungsmacht als solcher, denn was er hier vollführte war ja irgendwie erklärbar und nicht wirklich eine Straftat. Aber er wusste, dass er wenigstens noch zwei oder gar 3 Minuten an dieser Stelle stehen müsste, um seine Aufgabe zu erfüllen. Und natürlich wollte er nicht mit der Ausrede bei dieser Herrin aufkreuzen, dass ihn die Polizei weggeschickt hätte. Gleichzeitig wollte er der Polizei nichts davon erzählen, warum er wirklich hier steht - auch das hätte der Aufgabenstellung dieser wunderbaren Frau widersprochen. Also ging er im Geiste alle möglichen Fragestellungen und Wendungen des bevorstehenden Gesprächs durch und versuchte sich Antworten zurecht zu legen. Und er hatte ein klares Ziel: er wollte mit seinem Schild um den Hals hier stehen bleiben, bis der Wecker aus seiner Jackentasche ertönt. Und er würde keine Ausflüchte verwenden, um die Beamten zu beschwichtigen oder gar los zu werden… Verdammt, es gab so viele Möglichkeiten und er musste es irgendwie schaffen, die Zeit zu überstehen. Schon hatten sich die beiden Uniformträger vor ihm aufgebaut. Der Polizist ergriff das Wort und versuchte von vornherein, seriös und dienstlich zu wirken: "Guten Tag, Ihnen ist bewusst, dass hier wie auf allen öffentlichen Plätzen Demonstrationsverbot herrscht, solange nichts angemeldet wurde ?". Ah, Demonstrationsverbot... er hatte an einiges gedacht in seinem kleinen Brainstorm, aber darauf war er in der Schnelle nicht gekommen. Aber er war trotzdem nicht um eine Antwort verlegen: "Das ist mir bewusst, aber ich demonstriere ja nicht. Und falls sie sich das fragen: nein, ich treibe hier auch keine Gewerbe ! Ich weiß, das ist absurd – ich würde bestimmt pleite gehen damit !". Er ließ den Satz kurz nachwirken und ergänzte nach einer kurzen Pause mit einem breiten Grinsen über seinem Gesicht, welches zum Ausdruck bringen sollte, dass er sich über sich selbst lustig machte: "...oder etwa nicht ??".

 

Für den Augenblick hatte er genau erreicht, was er wollte: er hatte die ersten Sekunden überstanden, hatte es geschafft, eine Art Gespräch zu beginnen und hatte die beiden Uniformierten immerhin in eine sanftmütige Stimmung versetzt. Die Frau zeigte sogar ein Lächeln und er bemerkte, wie sie kurz verlegen ihren Blick von ihm abwenden musste. Doch da ertönte wieder die Stimme ihres Kollegen: "Das ist ja alles gut und schön, aber eben nicht erlaubt. Bitte entfernen Sie jetzt das Schild und gehen Sie weiter. Und vielleicht schon als Vorwarnung: wenn wir sie heute noch einmal antreffen, dann können wir das nicht so freundlich verlaufen lassen !". 'Mist', ging es ihm durch den Kopf, 'so schnell solltest du mich nicht wegschicken'. Zum Glück hatte er das aber besser vorhergesehen als das Demonstrationsverbot eben. Und so konnte er seine vorhin vorbereiteten Sätze auspacken und servieren. Um Zeit zu schinden holte er bedeutungsschwanger tief Luft – eine kurze Pause, in der er sich selber Mut zu sprach: 'Quassel sie kaputt, das kannst du doch… Komm, du brauchst die Zeit !'.

 

"Okay, ich verstehe !". Er ließ seine ganze Mimik und Gestik wirken und spielte weiter auf Zeit damit. Er vollführte eine Bewegung, die so aussah, als würde er das Schild von seinem Hals nehmen wollen – verharrte aber mitten beim Heben des rechten Armes, senkte ihn wieder und machte ein extrem nachdenkliches Gesicht: "Sie sagen also, was ich hier tue und vorhabe kann ich unter keinen Umständen so umsetzen? Ich meine,…" -  er ließ eine kurze Pause, einfach um ein paar Sekunden gut zu machen. Aber innerlich schmunzelte er schon, denn er warte nur auf den Augenblick, in dem der Polizist kurz Luft holen würde, um ihm die nächste Antwort zu geben auf seine noch nicht einmal ordentlich gestellte Frage. Aber genau in diesem Augenblick würde er weiterplaudern, so dass der Polizist die Luft unvollendeter Dinge einfach wieder ausstoßen würde - gut hörbar und meist etwas resigniert. 'Tja,' dachte er bei sich, 'für irgendetwas müssen doch die Jahre der Erfahrung in meinem Job für sich haben, und diese Taktik hast du schon so oft angewendet, um in kritischen Gesprächen die Gegenseite unter Druck zu bringen'. Und es funktionierte tatsächlich: just als sein Gegenüber sich rührte und den Anschein für eine Erwiderung machte, begann er wieder zu sprechen. Diesmal aber wesentlich schneller und zusammenhängender als eben, denn schließlich durfte er wirklich keine Lücke zum Einhaken geben: "Also ich meine, ich will doch nichts Böses tun und schon gar nicht gegen irgendwelche Gesetze und Regeln verstoßen - verstehen sie ? Ich dachte, gerade in dieser Corona-Zeit, wo die Menschen vielleicht manchmal ein wenig zu kurz kommen mit ihren Bedürfnissen, da wäre es doch vielleicht schön, jemanden zu haben, der sich Zeit nimmt. Und bevor sie es anmerken: ich hatte schon Corona vor einem anderthalben Monat und bin zum Glück gut geheilt - Also auch keine Gefahrenquelle für jemanden, der sich mir unter 1,50 m nähert. Glauben Sie mir, all das habe ich vorbedacht und meine es wirklich nicht böse. Also wäre ich Ihnen sehr verbunden, wenn Sie mir einen Tipp geben könnten, wie ich diese Mission so ausführen könnte, dass sie nichts dagegen haben würden".

 

Der Polizist wirkte für einen Augenblick echt verwirrt und hatte jetzt erst einmal nichts zu entgegnen. Seine Kollegin hingegen machte auf ihn einen deutlich aufgeweckten Eindruck und so war es keine Überraschung, dass sie zum ersten Mal das Wort in dieser Konversation ergriff: "Hören Sie: wir sind wirklich nicht dafür zuständig, ihnen Ratschläge zu geben, wie sie die Trefferquote bei ihrer Partnersuche verbessern können. Wir werden ihn also keinerlei Hinweise geben, sondern fordern Sie hiermit zum letzten Mal auf, das Schild abzunehmen und den Platz zu verlassen !". 

 

Was für eine Frau! Er war kurz zusammengezuckt, als er sich bei dem Gedanken ertappte, dass er die Konversation mit dieser jungen Beamtin gerne fortgesetzt hätte ohne das Anhängsel an ihrer rechten Schulter. Ihr Ton und ihre Art hatten etwas an sich, auf das er nur auf eine Art und Weise reagieren konnte: demütig. Nein, er würde sie niemals provozieren, nur um vielleicht noch ein wenig fester angepackt zu werden. Aber das machte es jetzt gerade richtig kompliziert – das verdammte Handy in seiner Tasche wollte nicht anfangen zu singen !!! Also, noch einmal alles zusammennehmen und ein paar Sekunden schinden, vielleicht reicht es ja: "Junge Dame... also, bitte verstehen Sie mich nicht falsch, ich will ihnen ja keinen Ärger machen oder irgendetwas. Und sie Beiden sehen wirklich sehr freundlich aus und deswegen hatte ich gedacht, frag doch einfach mal ! Aber das sollte keineswegs anmaßend sein und auch kein bisschen ungehorsam oder so..." - immer noch nichts aus seiner Tasche... Los, weiter improvisieren ! Es kann nicht mehr lang sein ! Aber sag ja nicht nochmal 'junge Dame', das scheint ihr gar nicht gefallen zu haben, ihrem Gesichtsausdruck zufolge... - "Also, dann bleibt mir gar nichts anderes übrig, als mich bei ihnen für ihre freundliche Art zu bedanken – und generell, für ihre Arbeit die sie leisten! Das bekommen sie wahrscheinlich viel zu selten gesagt, aber ich bin froh, dass es Menschen gibt, die ihren Dienst vollbringen im Interesse der Menschen hier im Land, ich finde das wirklich klasse !!". Gerade hat er gedacht, dass ihm jetzt der Faden verloren ginge, als die altbekannte Melodie aus seiner Jacke hervortönte. Und so als hätte er nie etwas anderes vorgehabt, ergänzte er seinen letzten Satz wie nebensächlich: "Also, mit mir haben sie keinen Ärger, natürlich nehme ich das Schild jetzt ab und verlasse den Platz !". Und so sehr er sich vorher noch Mühe gegeben hatte, die Beiden künstlich hinzuhalten, so schnell hatte er sich jetzt das Schild vom Hals genommen, es einmal in der Mitte zusammen gefalteten und unter seinem Arm geklemmt und war schon einige Schritte von den Polizisten entfernt, als er ihnen ein erleichtertes "Auf Wiedersehen !" zurief. Zufrieden lächelnd wendet er seinen Kopf von den beiden ab, er hatte es geschafft: er hatte die Aufgabe dieser nahezu unbekannten Frau erfüllt !

 

Instinktiv war er wieder in die Richtung der Installationskästen gelaufen, hatte die Wecker-App auf seinem Handy geschlossen und zu seiner Überraschung noch eine Nachricht von ihr gefunden:

Wenn du glaubst, du verdienst eine Belohnung, dann schau an der Stelle, wo du das Schild gefunden hast, nach etwas aus Plastik. Das war es dann aber wirklich für heute, ich melde mich bei dir !

 

Seine Euphorie war kaum zu übertreffen. Nicht nur, dass er die Aufgabe erfüllt hatte, sondern offensichtlich hatte sie Notiz davon genommen und sogar an eine Belohnung gedacht. Und an genau der Stelle versteckt - Moment mal, da war doch vorhin nix aus Plastik, oder ??? Soll das etwa bedeuten, dass sie in der Nähe war ? Ihn beobachtet hatte ? Und was wäre diese Überraschung ??? Die Euphorie war blitzschnell wieder der Nervosität gewichen. Möglichst ohne den Kopf zu stark zu drehen versuchte er sich umzublicken und eine Frau zu entdecken, die den Angaben ihres Profils entsprachen. Sie war sehr jung (worauf er es echt nicht abgesehen hatte und ihm eher ein Hindernis darstellte) und sehr groß - dies wiederum war ein Teil dieses 'Blitzschlages' gewesen, der ihn seinerzeit dazu gebracht hatte, Kontakt zu ihr aufzunehmen. Später hatte sie noch Teilansichten von sich veröffentlicht, mit denen sie sich immer mehr als echt göttliche Schönheit entpuppte (was wiederum ein sehr angenehmes Beiwerk war, aber eigentlich nicht fördernd für sein Interesse an ihr, was vornehmlich ihrer wundervoll dominanten Art galt). Doch so sehr seine Augen auch herumirrten auf dem Platz: niemand entsprach dem Suchmuster, und schließlich hatte er die angesteuerten Kästen erreicht...

 

'Aus Plastik' gab es nur einen Gegenstand, und das war eine Halbliter-Mineralwasserflasche ohne Schild, die etwa halbvoll mit einer gelben Flüssigkeit war. Er nahm sein Schild unter dem Arm hervor, legte es als Abschirmung gegen den Schmutz auf den Kasten neben ihm und stützte sich dann darauf ab, um mit einem langen Arm an die Flasche heranzulangen. Er griff sie zuerst nur am Deckel an und zog sie hoch. Hm, ein Schild war nirgendwo dran, aber auf der Unterseite war etwas draufgeschrieben. Er drehte die Flasche, um es lesen zu können und zuckte zusammen: 'PROST'.

Klar hatte er gleich einen klaren Gedanken, als er die Flasche gesehen hatte, worum es sich bei dem Inhalt handeln könnte. Jetzt, da er sie am unteren Ende in der Hand hielt und spürte, dass der Inhalt etwas lauwarm war, gab es keinen Zweifel mehr. Sollte das ein Test sein ? War sie immer noch in der Nähe und beobachtete ihn ? Er konnte sich jetzt unauffällig leicht drehen und hatte den gesamten Platz im Blick. Niemand verdächtiges... Nur die Polizisten hatten ihm wohl hinterhergesehen, dass er auch wirklich verschwand, und waren von ihrer ursprünglichen Position nur wenig entfernt. Nirgendwo ein Augenpaar, dass sehen wollte, was er mit der Flasche machen würde. Und die 2 in Uniform würden bestimmt nervös, wenn er hier noch etwas länger herumsteht. Also los...

 

Er öffnete den Deckel und roch kurz in die Flasche. Der Geruch passte zur Farbe (und wohl auch zum Anlass). Also, was soll es - er hatte an diesem Tag schon so viel Verrücktes getan, warum nicht auch das noch ?! Obwohl er sich gern erst mit ihr noch über die Bedeutung des Wortes 'Belohnung' ausgetauscht hätte, so hatte sie das hier ja nicht ohne Grund hinterlassen. Und ihre Vorliebe kannte er aus ihrem Profil... Er schloss die Augen, setzte die Flasche an und trank - ohne Luft zu holen - bis zum letzten Tropfen in einem Zug. Es schüttelte ihn kurz, aber der Gedanke 'es ist von ihr' gab ihm den positiven Aspekt, den er jetzt dringend brauchte. Und dann fiel ihm ein, dass er ja noch den Stift von vorhin hatte. Er zog ihn aus der Jacke, schrieb 'Danke Herrin' auf die Flasche und stellte sie wieder an den alten Ort zurück...

 

 

 

Epilog

 

Ihre Botschaft war klar, und deswegen gab es für mich auch keinen Punkt, hier irgendeine Nachfrage zu schicken. Und trotzdem zerriss es mich innerlich mit jedem Tag mehr: hatte ich sie zufrieden gestellt? Und auch eine andere Frage nagte tief in mir: war ich ihr damit nähergekommen – und konnte ich mich vielleicht sogar in den Kreis ihrer Favoriten spielen? Doch mit jedem Tag, der verging, wurde ich unsicherer. Und diese Unsicherheit wurde nur auch verstärkt, wenn mich wieder eine Nachricht erreichte von jemandem, der meine Nummer direkt von der Aktion auf dem Platz hatte oder von einem der Bilder, die wohl hier und da verbreitet worden waren, aber zum Glück nirgendwo viral gegangen sind. Die meisten Nachrichten waren leicht zu ignorieren: Menschen, die sich über mich lustig machen oder andere, die sich mit unflätigen ersten Botschaften oder gar nur Bildern von entblößten Geschlechtsteilen komplett selbst disqualifizierten (bei den Bildern war ich gelegentlich traurig, dass sie zu 100 % von Männern kamen). Aber es gab eben auch einige Botschaften die mich erreichten, aus denen ehrliches Interesse sprach – etwas, was ich meiner 'echten' Herrin natürlich gern vorgelegt hätte, um sie dann damit umgehen zu lassen. Und klar, es wäre ein leichtes gewesen, diese Nachrichten als Vorwand zu nutzen um ihre Botschaft des 'Ich melde mich !" zu ignorieren und selbst aktiv zu werden – was für ein verlockendes Ventil ! Aber nein, so schwer es war, es war das richtige abzuwarten und ihrer Vorgabe zu folgen. Selbst wenn mich dieses warten beinahe auffrass...

 

Und heute Mittag wurde ich belohnt. Nach 6 Tagen...

 

'Nicht schlecht, kleines Miststück! Du hast dich echt tapfer geschlagen…

Und, wie viele Menschen hast du schon glücklich gemacht?'

 

So sehr ich mich gerade noch gefreut hatte, endlich wieder eine Nachricht von ihr zu erhalten, so nervös war ich doch im gleichen Augenblick beim Lesen geworden – sollte ich sie etwa falsch verstanden haben? Hatte sie mit dem Schild auch den Auftrag erteilt, tatsächlich körperlichen Kontakt zu diesen Menschen zu haben? Mein erster Instinkt war, ihre Nachrichten noch mal nachzuschlagen und noch einmal zu verifizieren, ob ich etwas überlesen hätte. Aber nein, natürlich wollte ich möglichst schnell antworten. Und selbst wenn ich es falsch verstanden hätte, so hätte ich an den Fakten ja doch nichts mehr ändern können. Also antwortete ich einfach mit dem, was ich als richtig empfunden hatte und dementsprechend mit besten Gewissen seit knapp einer Woche ausführte: 'Guten Tag Herrin, wie schön von Ihnen zu lesen ! Nein, ich habe keinen der Interessenten getroffen. Vielleicht hatte ich sie falsch verstanden, aber ich war davon ausgegangen, dass ich auf weitere Anweisungen von Ihnen zu warten habe. Und das habe ich getan beziehungsweise ich tue es immer noch !'.

 

Im Chat konnte ich sehen, dass sie meine Nachricht empfangen und gelesen hatte. Fast minütlich schaute ich zurück auf mein Handy, und erwartete sehnsüchtig ihre Antwort. Schon verrückt, diese Abhängigkeit, dieses Verlangen bei absoluter Devotion. Zu einer Frau, die ich noch nie in meinem Leben persönlich getroffen hatte… Die Minuten verflogen, doch ich erhielt meine Erlösung:

 

'Du scheinst ja echt zu gebrauchen zu sein, und nicht einfach nur notgeil. Und du scheinst echt verstanden zu haben, worum es bei Submission geht, zumindest mir. Bringt das das Alter mit sich? Na, ein wenig scheint es auch an dir persönlich zu liegen, schließlich habe ich hier auch schon ältere Herren getroffen, die wie viele meiner jüngeren Bewerber eigentlich nur eine attraktive Besetzung für die offene Rolle in ihrem Kopfkino suchen. Aber das werde ich nie sein! Ganz im Gegenteil – das Casting hier läuft für die offene Rolle in meinem Kopfkino. Und ich muss schon sagen, du hast echt keine Fehler gemacht…

 

Okay, ich hab keine Ahnung, wohin uns das führen wird – du hast dich als würdig erwiesen, dir eine Chance auf eine Rolle in meinem Leben zu geben. Dir sollte immer klar sein, dass ich eigentlich nach wesentlich jüngeren Kerlen suche. Und das werde ich auch weiterhin tun! Du bist bestenfalls einer von mehreren. Und natürlich musst du noch den persönlichen Check überstehen. Betrachte dich also als Teilnehmer der nächsten Bewerbungsrunde. Damit geht es nächstes Jahr weiter.

 

Die Aktion letzte Woche war echt gut. Damit du dich ewig an das Datum erinnerst, werde ich dich ab jetzt "Siebzehn" nennen. Sollte dir auch helfen, dich daran zu erinnern, dass du niemals meine Nummer eins sein wirst. Du bekommst Regeln und Pflichten, an die du dich zu halten hast - aber auch dazu später mehr. Zuerst nur so viel: du wirst nie wieder ohne meine Erlaubnis wichsen ! Wenn du in einer Beziehung lebst, dann darfst du dem Verlangen deiner Partnerin nachgeben – wirst aber nicht mehr selber damit anfangen ! Weiterhin wirst du mich nie wieder unaufgefordert kontaktieren – du wartest, bis ich dich brauche. Wenn mein Bedarf an deinen Diensten für den Tag befriedigt ist, dann werde ich dir das jeweils mit dem Wort "Schlussglocke" zu verstehen geben – danach wirst du mich nicht mehr ansprechen (das gilt übrigens auch für reale Kontakte oder Telefonate – nur hörst du dann nicht das Wort, sondern die Glocke selbst. Soweit alles verstanden, Siebzehn ?'.

 

'Ja, Herrin !'

 

'Sehr schön 🙂

Du wirst mir eine kleine Präsentation erstellen für die Interessenten auf dein Angebot von letzter Woche - Alter, Geschlecht, Aussehen (wo Daten fehlen, strengst du deine Vorstellung an - du wirst weiterhin niemanden kontaktieren !), dazu was sie denn gern von dir hätten (auch hier wieder gern durch deine Fantasie ergänzt, wo nicht ausführlich beschrieben). Und schließlich wirst du erklären, wie du das umsetzen willst und wie du mir damit Spaß bereiten möchtest - was natürlich der ausschließliche Grund sein würde, dir eine dieser Aktivitäten anzuweisen ! Zu jedem Kandidaten/ jeder Kandidatin bitte ein Blatt, gern auch mit Bild falls du eines hast - und gib dir Mühe mich anzuregen. Du hast es fertig, wenn ich mich wieder bei dir melde !'.

 

'Ja, Herrin !'.

 

'So, Schlussglocke ! Ich wünsch dir Frohe Weihnachten, aber denk an deine Aufgaben. Und daran, dass du mir nach dem Signalwort nicht mehr zu antworten hast. So schwer es fällt...

Gut, dann bis zum nächsten Jahr !

Ach ja, nenn mich nie wieder "junge Dame", Siebzehn !!!'.

[Gelöschter Benutzer]

Ich mag den Inhalt deiner Geschichte. Gut nachvollziehbar und real umsetztbar. Gerne mehr davon.

[ca****]

Ich schließe mich @ORuna an, die Geschichte ist gut nachvollziehbar, hat einen guten Spannungsbogen und eine echt schöne Aufklärung zum Schlusse "junge Dame".

Es ist interessant, was im neuen Jahr passiert und ob die Dame mit der Visitenkarte vielleicht ins Spiel kommt.

bearbeitet Januar 23, 2021 von FETMOD-FF
@Nennung eingefügt.

[werniw]

Toll geschrieben, so ein "Pranger" ohne Ketten, wäre mir von selbst nicht eingefallen! Fortsetzung bitte !

[Gelöschter Benutzer]

Ganz toll geschrieben.... 👍👍

[Königinsweg]

Danke für die lieben Worte / schön wenn ich eure Köpfe erreicht habe. :-)

[DomAra]

Achja, Nenn mich nie wieder "junge Dame"