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Unvergesslich, ...nicht Erlebtes


Empfohlener Beitrag

Geschrieben

Es war nicht lange nachdem meine erste, drei Jahre währende D/s-Beziehung zu Ende war. Ich, der Spät-Wiedersingle, war, wie immer in den vergangenen Jahren, innerlich hin und her gerissen.

Einerseits war da der dauerhafte Hunger auf „Letzte Sensationen“, der mit Ü60 immer stärker geworden war. Andererseits ließ sich der scheinbar an meinen Genen haftende Wunsch nach einer stinkormalen … . Doch schon bei dem Gedanken an eine letzte feste Beziehung nach altem Muster, war mir wieder eingefallen, wie ungeeignet ich selbst wohl in den Jahren des Alleine-Lebens dafür geworden war.

Also hatte ich mich wieder in einem Forum für BDSM-Kontakte eingeschrieben und mich dort Als Dom mit Wunsch nach einer Spielbeziehung angeboten.

Nach etwas über einem Vierteljahr, meldete sich die Dezemberfrau bei mir. Warum ich sie so nenne, tut nichts zur Sache. Aber ich denke, mit dieser Bezeichnung könnte sie leben, wenn sie das hier lesen könnte.

Wir schrieben ein wenig hin und her. Sie konnte sich im Büro während der Arbeitszeit immer wieder ein paar Minuten nehmen, um mir einen kleinen Einblick in ihr Leben, ihre Wünsche und ihre Träume zu geben. Aber auch in ihre Tabus. Und die hauten mich zunächst einmal fast um.

Etliches, das in vielen Vanilla-Beziehungen zur allmittwochlichen Abendgymnastik gehört, war für sie undenkbar. Und wir waren noch gar nicht bei den Themen Sadismus und Masochismus angekommen, die deutlich in ihrem Profil vermerkt waren.

Doch statt sofort aus dieser beginnenden Geschichte auszusteigen, überwog meine Neugier. Ihr Portrait hatte auch dazu beigetragen. Denn sie war äußerst attraktiv.

Was sie sich im BDSM-Bereich wünschte, in dem sie nach eigenem Bekunden absolut unerfahren war, erstaunte mich dann doch. So prüde und gehemmt, wie sie in Sachen Vanilla zu sein schien, so ausufernd waren ihre Vorstellungen von dem, was ich mit ihr tun sollte oder dürfen würde, sofern wir uns wirklich näher kämen.

Nach vielen Jahren Internet, glaube ich nicht mehr alles was mir vorgesetzt wird. Aber da sie ein Treffen hier bei mir in Essen vorschlug, ging ich gerne darauf ein. Sollte sie nicht erscheinen, hätte ich nur eine halbe Stunde meines wertvollen Restlebens auf der Ruhrbrücke verplempert, unserem vereinbarten Treffpunkt.

Da Frauen wohl gerne erst spät kommen, ging sie erst auf mich zu, als ich schon 35 Minuten gewartet hatte und den Heimweg antreten wollte. Sie erzählte mir, dass sie schon seit etwa einer Stunde dort wäre, sie hatte mich auch dort ankommen sehen. Aber sie hatte einen inneren Kampf ausgefochten, den sie erst gewonnen hatte, als sie bemerkt hatte, dass ich die Geduld verlor.

Wir traten also den vereinbarten Spaziergang am Ruhr-Ufer an. Nach etwas Smalltalk legte sich ihre Aufregung etwas. Meine auch. Denn auch für mich sind erste Dates eine Herausforderung. Ich mag alles, was läuft. Anfang und Ende hat für mich keinen Reiz. Der Zauber, der dem Anfang inne wohnen soll, hat sich mir noch nie VOR und nur selten während der ersten Begegnung offenbart. Und wie es mit dem Zauber am Ende von Beziehungen läuft, ist wohl hinreichend bekannt.

So wurde unser Gespräch, das ich führte ..ich bin ja der Dom, zwar lockerer und ging immer deutlicher um den BDSM-Bereich. Aber es wurde auch hakig als es um ihre Ehe ging. Warum sie sich ihre Träume außerhalb erfüllen lassen wollte, erklärte sie offen. Doch ich bemerkte den Kloß in ihrem Hals, der dabei immer dicker wurde.

Dann kamen uns ein paar Jogger entgegen, die Trikots einer Ruhrgebiets-Fußballmannschaft trugen. In dem Moment war unsere BDSM-Romanze zu Ende. Ich war schon bis hier her skeptisch gewesen. Aber als sie mir mit bebender Stimme erzählte, dass er Fußbalfan sei und das „seine Mannschaft“ sei, war mir klar, dass sie entweder mit MIR diese Reise nicht antreten würde. Oder überhaupt nicht.

Den ersten und einzigen Ansatz, während des Gesprächs ein wenig zaghaften Körperkontakt zu bekommen, hatte ich schon zweihundert Meter zuvor gerne abgebrochen. Und hier blieb mir nur, höflich aber bestimmt ..und von ihr mit Dankbarkeit aufgenommen, die Umkehr einzuleiten.

Dass sie sich nicht von mir zu ihrem Wagen begleiten lassen wollte, konnte ich nachvollziehen. Denn PKWs haben Nummernschilder. Und wenn man anonym bleiben will, .. . Ich hatte Verständnis. Und so wollte ich mich am Ende der Ruhr-Brücke von ihr verabschieden.

Doch sie bestand darauf, mich zu dem Hochhaus zu begleiten, in dem ich wohne. Das ..im Zusammenhang mit dem bisherigen Verlauf unseres „Versuchs“, kam mir seltsam vor. Doch ich willigte ein.

Kurz vor der Haustür verabschiedete ich mich nochmals höflich von ihr und wünschte ihr eine angenehme Heimfahrt. Doch sie blieb stehen als ich mich zum Türschloss umdrehen wollte um den Schlüssel einzustecken.

Und dann traf mich ein Blick, der ein Maß an Sehnsucht, Hilflosigkeit, Unentschlossenheit, Entschlossenheit und Ungläubigkeit enthielt, das ich kaum beschreiben kann.

Alles in ihr schien zu schreien „Bitte, zwinge mich, mit zu Dir zu kommen! Ich will jetzt den Sprung ins kalte ..!“

Doch ich bin kein kaltes Wasser. Jedenfalls nicht, wenn ich selbst jemanden dort hinein schubsen soll.

Ich bin offen, vielleicht auch verdorben genug, um dankbar die Freuden anzunehmen, die mir von einer Frau geboten werden, die selbst die Entscheidung für sich trifft. Und die selber den Sprung wagt.

Es kam also nicht zu all dem, was ich mir leicht skeptisch ausgemalt hatte. Und es kam nicht zu dem, was sie entweder genossen hätte, oder aber was sie bis heute bereuen würde.

Immer wenn ich von Frauen lese, die die Verantwortung abgeben und sich fallen lassen wollen, denke ich an die Dezemberfrau. Mit etwas Wehmut. Aber auch mit der Gewissheit, aus meiner Sicht alles richtig gemacht zu haben.

Fallenlassen ja. Auffangen auch. Aber der Schritt über meine Schwelle muss Freiwilligkeit und Entschlossenheit beinhalten.

 

*

 

(Um Missverständnissen vorzubeugen: ..Ich habe die Dezemberfrau so anonymisiert, dass wenn überhaupt, nur sie selbst sich in diesem Text erkennen könnte)

 

Geschrieben
Ich finde dein Resümee sensationell. Ganz meine Einstellung:
"Fallen lassen ja. Auffangen auch. Aber der Schritt über meine Schwelle muss freiwilligkeit und Entschlossenheit beinhalten"
Ich denke dasselbe. Wenn die Frau sich nicht persönlich dafür entscheidet, hält es sowieso nicht lange.
Danke für die lebensepisode.
Geschrieben
toller Text, emotional 100% nachvollziehbar. Auch ich mag keine ersten Date's. Schon mal gar nicht, wenn diese so schräg, bzw. irgendwie seltsam verlaufen.
Geschrieben
Wow...einfach ein wunderbarer Text mit einem Fazit welches absolut meiner Einstellung entspricht.
Geschrieben
Schöner Text und eine gute Einstellung, die ich mir bei allen dominante Personen wünsche 😊 Kommunikation und das Beobachten der Reaktionen des Anderen ist sehr wichtig, um sich wirklich fallen lassen zu können
Geschrieben

Vielen Dank an alle fürs Lesen und Kommentieren. Und für die Gefälltmir-Klicks!

Geschrieben
Wow,das hat mich zu Tränen gerührt. Respekt vor Deiner Verantwortung und mein tiefstes Mitgefühl zur Dezemberfrau. Ich wünsche ihr von Herzen Kraft und Mut zu sich selbst zu finden.
Geschrieben

Wirklich sehr schön geschrieben......mir kommen einige deiner Schilderungen sehr bekannt vor. Hab mich bei verschiedenen ähnlichen Situationen bzw Konstellationen gefragt,  wo die Grenze "richtig " gezogen werden sollte......oder im Nachhinein "hätte werden sollen "?

Klar,  man(n) will sich weder moralisch noch sonstwie strafbar machen.  Aber kann es wie von dir geschildert nicht auch mal sein,  dass diese Frau genau dich deswegen "auserwählt ", weil du weder egoistisch noch rücksichtslos bist? Und genau deshalb der "Richtige " bist,  um ihr eine emotionale Brücke zu bauen und sie zu begleiten? Wenn sie bildlich gesprochen Höhenangst hat und am anderen Ende der Brücke steht,  ist dann ein " komm ,trau dich "  das Richtige?

 

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