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Zwei Leben und ein kleiner Unterschied


Sklave184

Empfohlener Beitrag

Geschrieben

Manuel Magiera

Weitere Leseprobe aus dem Transroman: Zwei Leben und ein kleiner Unterschied

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Ein paar Straßen weiter wurden wir fündig. In dem Etablissement gab es einen speziellen Bereich, der nur schwulen Männern vorbehalten war. Lukas half mir, mich auszuziehen. Er nickte einem Mann, der uns beobachtet hatte, zu und sagte, er würde unten auf mich warten. Ich wüsste, was ich zu tun hätte. Ich senkte den Kopf, um dann mit dem potenziellen Freier zu flirten. Mit Erfolg. Er gab mir die geforderten fünfzig Euro und betrat ohne Umschweife mit mir einen der zahlreichen abgedunkelten Räume. Ich schloss die Tür. Alles andere war bereits Routine. Ich wunderte mich über die Selbstverständlichkeit, mit der ich mich prostituierte. Der Fremde stand danach auf und ging in die Toilette. Viel hatte ich von seinem Sex nicht gehabt, aber das war auch nicht immer üblich. Ich fühlte mich wie ein abgeklärter junger Stricher. Langsam stand ich auf und machte mich in der Toilette frisch. Eine Hand legte sich fordernd auf meine Pobacken. Ein kräftiger Kerl kniff mir in den Hintern, schlug dann mit der flachen Hand mehrfach drauf. Ich ließ es passiv geschehen. „Wenn du mir fünfzig Euro gibst, geh ich mit dir“, sagte ich leise. Der andere blies mir in den Nacken und seine Zunge leckte an meinem Hals. Er steckte mir das Geld unter meinen Gürtel. Die Chaps waren hinten natürlich offen. Jeder wusste dadurch, was ich war. Eine Nutte, dachte ich, eine verdammte Nutte, bist du. Verkaufst dich für Geld. Schäm dich, sagte die Stimme in meinem Kopf. Daraufhin drehte ich mich um, gab dem Fremden meine Hand und ging mit ihm in den Darkroom. Auch bei ihm dauerte es nicht lange. Er ließ mich ebenso benutzt zurück, wie es der Freier vor ihm getan hatte. Noch zwei weitere Männer nahmen die Gelegenheit wahr. Lukas war wieder heraufgekommen und hielt sich diskret zurück, als er mich stöhnen hörte. In der Toilette half er mir liebevoll einen benutzten Gummi aus meinem Hintern zu entsorgen.

„Wenn du Schluss machen willst, zieh dich wieder an. Wir können ins Hotel zurückfahren. Ich will nicht, dass du mehr tust, als du verkraften kannst.“ So hatte Lukas noch nie zu mir gesprochen. Ich spürte, wie die Wärme der Liebe in mir aufstieg und eine Welle der Zärtlichkeit erfasste meine Seele. Wir küssten uns leidenschaftlich und lagen einen Moment später selbst stöhnend im Darkroom. Meinen Hintern nahm ich schon lange nicht mehr wahr. Ich war froh, Schluss machen zu dürfen. Wir tranken beide noch ein Bier und bestellten uns ein Taxi. Im Hotel schmusten wir nur noch. Eng an meinen Lukas gekuschelt, erzählte ich ihm von meinen Gefühlen. Liebevoll streichelte er währenddessen über meinen Nacken. „Du musst mir sofort sagen, wenn du keine Lust zum Spielen hast. Ich kann viel aus deinem Gesicht und von deiner Körperhaltung ablesen, aber eben nicht alles. Wollen wir nicht doch ein Codewort verabreden?“, hörte ich ihn unvermittelt fragen. Ich hatte bereits daran gedacht, denn niemand war ständig zu SM aufgelegt und irgendwann brauchte auch ich mal Ruhe, um mich auf meinen Unterricht vorzubereiten. „Leben“, fiel mir spontan ein. „Das ist ab sofort unser Codewort. Du weißt dann Bescheid und kehrst in unser normales Leben zurück. Wobei, was ist bei uns beiden eigentlich normal?“ Übermütig kniff ich ihn plötzlich in den Po. „Aua, das jedenfalls nicht, Strichjunge! Wie kannst du es wagen, mich zu kneifen? Ich bin dein Zuhälter und deine Respektsperson!“ Ich fing an ihn zu kitzeln. Erst am Bauch, dann an den Beinen und zum Schluss hatte ich auch seine Weichteile in den Fingern. Kichernd und glucksend balgten wir uns auf dem Bett. Plötzlich lag er über mir und hielt meine Arme zur jeweiligen Seite. Lukas war um die 1 Meter 80 groß und trainierte regelmäßig seine Muskeln im Studio. Da drückten über 80 Kg Lebendgewicht auf meine Brust und Körper. Ich war zwar frech, aber nicht lebensmüde. „Aua, Leben!“ Es tat tatsächlich weh. Ich dachte daran, bei Gelegenheit eine Taekwondo-Übung an ihm auszuprobieren. Vielleicht wäre das die einzige Chance, sich gegen einen so kräftigen, biologischen Mann zu wehren.

Lukas reagierte sofort auf die zwei Worte. Die Toberei endete abrupt mit einem Kuss. Super. Es klappte. Wir waren ein Team. „Niemand darf etwas von unserem Spiel wissen, sogar Henny und Frieder nicht. Ich möchte auch nicht offen Händchenhalten oder küssen. Wir wohnen in einer Kleinstadt. Wir sollten niemand provozieren. Außerdem sind wir ja auch keine ***ager mehr, Lukas, die ihre Verliebtheit noch offen zur Schau stellen müssen. Was meinst du?“, fragte ich ernst. „Das sehe ich genauso. Viele Gewalttaten an Homosexuellen geschehen auch, weil die unbedingt in der Öffentlichkeit herumposieren müssen. Man braucht Idioten nicht auch noch herauszufordern. Am Christopher Street Day ist das etwas anderes. Da dürfen alle schrill sein. Wir sollten uns zuhause wie normale Männer benehmen und unsere Zärtlichkeiten in unseren Wohnungen austauschen. Das gefällt mir sowieso besser. In Hamburg und in den Schwulenlokalen können wir uns dann ausleben.“ Wenn mir vor zwei Jahren noch jemand gesagt hätte, dass ich einmal so glücklich sein würde, hätte ich ihn sicher für verrückt erklärt. Doch nun lag ich in den Armen eines Menschen, den ich über alles liebte und der mich ebenso liebte. Schöner konnte unsere gemeinsame Nacht in Berlin nicht ausklingen. Ich freute mich sehr auf den nächsten Ausflug ins Rotlichtmilieu. Wir wollten erst am Sonntag wieder nach Hause fahren. Ich wusste, dass am Samstagabend ein Treffen von der Selbsthilfegruppe stattfinden sollte. Lukas freute sich, die anderen kennenlernen zu dürfen. Er wurde ebenfalls fröhlich begrüßt, denn es konnte gar nicht genug Ärzte geben, die sich mit der Problematik auskannten, da waren sich alle einig. Wir wurden als Paar allerdings etwas wie Exoten betrachtet. Die meisten transsexuellen Männer liebten Frauen und ich war sozusagen die Ausnahme von der Regel. Lukas fragte, warum das so wäre. Niemand konnte ihm eine Antwort darauf geben. Transsexualität war noch ein ziemlich unerforschtes Gebiet. Ich dachte an meinen Einfall im Krankenhaus. „Widme doch deine Dissertation diesem Thema“, schlug ich Lukas vor. „Du kannst auch Hennys Dokumentation verwerten und natürlich meinen Lebenslauf heranziehen. Als Krönung kannst du mich als Fall studieren und vielleicht geben die anderen dir auch ihre Daten?“ Lukas sah mich verblüfft an. „Dass ich daran nicht selbst schon gedacht habe!“, rief er begeistert aus. „Doktor Schwabe wird mich bestimmt mit Rat und Tat unterstützen und eine Promotion in Transsexualität gibt es wahrscheinlich noch gar nicht. Ich werde das gleich zu Hause recherchieren und mit meinem Doktorvater besprechen. Das dürfte auch in der Klinik auf Interesse stoßen. Wahrscheinlich müsste ich für meine umfangreichen Studien daneben auch noch andere Geschlechtsabweichungen und Identitätsstörungen hinzuziehen, wie Transvestismus, weibliche Homosexualität und so weiter. Das Feld ist riesig. Ich überlege gerade, wie ich da anfangen soll. Danke mein Schatz. Diese Doktorarbeit widme ich dir!“ Er küsste mich enthusiastisch. Ich sah, wie sich Lukas, der einen sehr hohen IQ besaß, im Kopf bereits ein Konzept zusammenstellte. Er erfasste auch komplexe Zusammenhänge sehr schnell. In der Gruppe begannen plötzlich alle begeistert mitzudiskutieren. Jeder wollte Lukas seine besondere Lebensgeschichte erzählen. Ich machte den Vorschlag, auch Andreas und den Frauenstammtisch in Hamburg zu besuchen und um Mithilfe zu bitten. Um halb zwölf Uhr verabschiedeten wir uns müde, aber sehr glücklich und zufrieden von der Gruppe. Sie wünschten mir für die Kostenübernahme viel Glück. Ich hatte ihnen auch von Frieder erzählte. Sie sollten sich ruhig bei ihm melden, wenn sie ihre Nerven für die OP schonen wollten. Für den Tipp waren alle natürlich dankbar. Lukas und ich fuhren direkt ins Hotel zurück. Unser Zug sollte am nächsten Morgen um acht Uhr Berlin verlassen. Wir schliefen beide sehr gut in dieser Nacht. Während der Bahnfahrt begann Lukas bereits am Laptop zu recherchieren. Ich las derweil in der Operationsbeschreibung und hielt ansonsten meinen Mund, um ihn nicht zu stören. Frieder nahm sich wie verabredet der Kostenübernahme für die Operation an. Er schrieb an die Krankenversicherung und an die Beihilfestelle. Ich arbeitete weiter in meinen Klassen, teilte aber Direktor Cornelius den geplanten Operationstermin mit, der diesen gleich ans Ministerium weitergab.  Man genehmigte uns eine zusätzliche Teilzeitkraft, die auch bei uns an der Schule bleiben sollte. Der Direktor war sehr zufrieden.

Anfang Mai konnte auch Frieder endlich ein Erfolgserlebnis vermelden. Die Beihilfestelle ließ sich, nach Rücksprache mit dem Ministerium, die Entscheidungsbefugnis für geschlechtsanpassende Maßnahmen bei Landesbediensteten erteilen, so dass damit auch die Stelle darüber befinden konnte, die es anging. Meine Genehmigung zur Operation in Berlin kam nach ein paar Wochen ohne Einschränkungen. Die private Krankenversicherung gab allerdings nicht gleich grünes Licht. Frieder erkannte sofort die kleinen Tricksereien, die man dort versuchte, um sich vor der Zahlungsverpflichtung zu drücken und schloss sich telefonisch mit unserer Fachanwältin kurz. Gemeinsam drohten sie der Versicherung mit einer Schadensersatzklage, wie sie der Höhe nach nur in Amerika üblich war. Die Versicherung lenkte danach schnell ein. Freudig konnte ich der Klinik die Kostenübernahmeerklärungen faxen. Lukas arbeitete bereits an seiner Doktorarbeit. Er ließ sich oft entschuldigen. Unsere Hamburgbesuche waren deshalb etwas eingeschlafen. Ich überlegte, mir auch eine Karenzzeit vor der großen OP zu gönnen und bat ihn, Anfang Juni noch die letzte Party vor der Sommerpause zu buchen. Wir würden wieder am Freitag anreisen und ich wollte versuchen, Milan zu sehen. Samstag könnte ich dann am Tag in einem der Clubs arbeiten und abends würden wir zur SM-Party gehen. Je nachdem, wie wir dann am Sonntag noch drauf wären, dürfte mich mein Zuhälter ein letztes Mal mit Dildo auf den Strich schicken. Nach der Operation hätte ich ja endlich meinen eigenen Schwanz! Allerdings würde es wohl recht lange dauern, bis ich mir derartige Spiele wieder zutrauen könnte. Erst nach einem halben Jahr Erholungsphase sollte die Erektionspumpe eingesetzt und die Hoden geformt werden. Ich wollte mir für die Eingriffe viel Zeit und Ruhe gönnen und sah meine Hauptaufgabe darin, für meine Schüler fit zu sein. Ich musste, sobald es halbwegs ging, den Unterricht fortführen können. Private Vergnügen mussten da zurückgestellt werden. Lukas meinte, er hätte eh kaum Zeit, denn die Arbeit im Krankenhaus, meine Betreuung nach der OP, die Dokumentation und Forschungsarbeit für seine Dissertation würden ihn sehr in Anspruch nehmen und ließen ihm keinen Raum für Extravaganzen. Er sagte deshalb gutgelaunt zu, am Wochenende noch einmal in Hamburg mit mir abzuschalten. Ich hatte ihm dann trotzdem sanft aber bestimmt den Laptop aus der Hand nehmen müssen und seine SM-Tasche gepackt. Auch meinen eigenen Koffer brachte ich ins Auto. Das Hotel hatte ebenfalls diesmal ich reserviert Es war aber wieder eine Absteige direkt am Kiez. Ich war also meinem Zuhälter stets zu Diensten und gehorchte ihm, wie er es wollte. Nur Auto fahren sollte er noch selbst. Das hätte er sich wohl auch nicht nehmen lassen. Lukas liebte seinen Wagen. Ab und zu fuhr er fast etwas zu rasant für mich. Aber ich ließ ihm den Spaß an seinem Hobby. Wir kamen dank seiner flotten Fahrweise auf der Autobahn gut durch und erreichten das Hotel am frühen Nachmittag. Ich bezahlte wie selbstverständlich das Zimmer und zog mich vor Lukas’ strengen Augen um.

Danach lief ich runter in den Park. Schon von weitem sah ich Milan vor dem Toilettenhäuschen auf und ab gehen. Er bemerkte mich auch gleich. War das eine Freude! Wir lagen uns lachend in den Armen. Er erzählte sofort von seinen Neuigkeiten. Nach unserem Gespräch hätte er sich Gedanken über sein Leben gemacht. Es liefe alles nicht so optimal für ihn und als er zufällig auf einen der Streetworker traf, der ihn schon früher betreut hatte, bat er ihn um Hilfe und ein Gespräch. Das war sehr erfolgreich für Milan verlaufen. Nach den Ferien sollte er nun wieder zur Schule gehen und seinen Hauptschulabschluss nachholen. Wir grinsten uns an. Ich freute mich riesig für ihn. Etwas später kam Lukas heranspaziert, als wenn nichts wäre. Ich platzte vor Zufriedenheit und konnte nicht anders. Ich musste ihm einfach von Milans Glück erzählen. Natürlich schenkten wir diesem daraufhin reinen Wein ein und outeten uns. Lukas war kein Freier, berichtete ich ihm, sondern mein Freund, für den ich anschaffte. Milan staunte anfangs nicht schlecht, aber er fand nichts dabei, dass ich als Transe auf den Strich ging. Nur über unsere privaten Berufe sagten wir kein Wort. Lukas drückte Milan einen fünfzig Euro Schein in die Hand und schob uns beide grinsend ins Klo. Wir wiederholten die Nummer vom letzten Mal. Danach ließ er uns einfach stehen. Ich sollte zusehen, wie ich das Geld wieder rein bekam. Ich nahm mein Handy und schickte meinem Freier vom Resthof eine SMS. Er wollte eine Stunde später kommen und mich abholen. Das Wetter war schön. Es liefen etliche Freier durch den Park. Milan und ich bekamen beide somit genug Gelegenheiten und wir verdienten nicht schlecht an diesem Nachmittag. Kurz bevor Tom zum Parkplatz kam, schrieb ich eine SMS an Lukas und teilte ihm mit, dass wir zum Resthof nach Wilhelmsburg unterwegs wären. Ob mein Freier wirklich Tom hieß oder den Namen nur erfunden hatte, erfuhr ich von ihm nicht. Ich erzählte ihm aber von meiner Operation und dass ich wohl die nächste Zeit nicht mehr hier wäre. Er bedauerte es sehr. Ich versprach, mich sofort bei ihm zu melden, wenn ich wieder arbeitete. Als ich in den Park zurückkam, war Milan gerade unterwegs. Ich schickte Lukas gehorsam eine SMS. Zwei andere Jungen, die ich nur vom Sehen kannte, standen auf unserem Platz und musterten mich neugierig. Ich fragte sie nach Milan und erfuhr, er wäre gerade zu einem Freier nach Hause mitgegangen.

Einer der beiden Burschen bot mir ein paar bunte Pillen an. Ich lehnte dankend ab. „Das Zeug ist ziemlich gefährlich. Man weiß nie, was drin ist und bei Liquid Ecstasy musst du damit rechnen, mit Dreißig dement in der Klapsmühle oder im Altersheim zu enden.“ Sie lachten. „Hej, okay, an deinen Worten ist was Wahres dran. Aber die Dinger helfen als Trostpflaster dabei, den Ekel zu unterdrücken, wenn man für einen Freier hinhält.“ Beide waren seltsamerweise hetero. Sie taten mir unendlich leid. Ich wollte nicht zu missionarisch erscheinen, aber ich versuchte dann doch, sie davon zu überzeugen, anders an Geld zu kommen. Wer als Stricher arbeitete und nicht schwul oder zumindest bi war, lebte am Rand der Hölle. Sie nickten beide. An unserem Toilettenhäuschen kamen heute immer wieder Streetworker vorbei. Vielleicht wüsste einer von denen Rat und konnte ihnen helfen, aus der Szene rauszukommen. Während wir uns unterhielten, stoppte auf dem Parkplatz neben dem Eingang ein Auto. Der Fahrer des dunkelblauen Fords blinkte kurz auf. Wir sahen uns an.

„Mach du das ruhig“, meinte Andy, der Blonde von den beiden. Ich sagte Tschüss und saß kurze Zeit später bei meinem nächsten Freier im Auto. Der Preis, den ich ihm nannte, war okay für ihn. „Das ist kein Problem, ich lege sogar noch etwas drauf, wenn ich mich an deinem Arsch nach Belieben bedienen darf“, meinte er nur. Ich lachte und sah auf der Fahrt interessiert aus dem Fenster. In diesem Stadtteil kannte ich mich nicht aus. Der junge Mann hielt plötzlich bei einer halb verfallenen Fabrik. Er hatte mich noch nicht bezahlt und als ich ihn darauf ansprach, stieß er mich derb auf das Gebäude zu. „Du kriegst gleich, was du verdienst“, zischte er. Mir war bei seinen Worten komisch zumute. Ich hatte Lukas nicht informiert und irgendwie fühlte sich das hier anders an, als ich es sonst gewohnt war.

Auf einmal drückte mich der Typ an die Wand und riss mir die Hände auf den Rücken. Handschellen rasteten ein. Meine Hände schmerzten. Ich konnte mich nicht mehr bewegen. Ein fünfzig Euro Schein knisterte in seinen Fingern vor meinen Augen. Ich spürte, wie er ihn mir in die Hosentasche steckte. Mitleidslos schob mich durch die Tür die Treppe runter in einen dunklen Kellerraum ohne Fenster. Licht fiel nur durch die Türe hinein. Eine abgewetzte Matratze lag darin auf dem Boden, es stank nach Urin und Erbrochenem. Ich bekam Würgereiz. Er streichelte mich. „Bleib ruhig, dann passiert dir nichts, mein Kleiner.“ Selbstbewusst öffnete er meinen Gürtel und zog mir die Hosen runter. Zufrieden besah er sich die blanken Arschbacken und kniff hinein. Er löste die Fesseln. „Zieh dich ganz aus und knie dich auf den Boden!“ Gehorsam tat ich, was er verlangte. Er legte mir eine Kette um den Hals, deren anderes Ende an der Mauer hing. Ich lag wie ein Hund gefangen vor ihm. Noch spielte ich mit. Vielleicht gehörte das alles dazu? Er streichelte mir noch einmal über den Po, fesselte mich und stand dann plötzlich auf. Ohne ein Wort zu sagen, griff er sich meine Kleider und verließ den Raum. Die Stahltür fiel hinter ihm ins Schloss. „Hej, was soll das!? Das war so nicht ausgemacht!“, schrie ich ihm hinterher. Totenstille. Es kam keine Antwort. Mit auf den Rücken gefesselten Händen kauerte ich nackt auf der Matratze und begann vor Angst zu zittern. Er hatte meine Jacke mitgenommen und meine Hose ebenfalls. In der Jacke steckte mein Handy! Es war jetzt stockdunkel in meinem Verlies. Ich konnte nichts mehr sehen. Ich begann laut um Hilfe zu rufen. Aber dann fiel mir ein, dass ich mich in einem Keller befand, der mit einer Stahltür verschlossen war. Hier würde mich niemand hören können! Fieberhaft begann ich nachzudenken. Was hatte er mit mir vor? Mein Gefängnis war vorbereitet gewesen, er hatte also gewusst, dass er einen Jungen hierher bringen wollte. Was hatte er davon, mich jetzt allein zu lassen? Ich würde in kurzer Zeit elendig verhungern und verdursten. Er würde zurückkehren und sein Vorhaben zu Ende bringen. Alles andere wäre bei all den Vorbereitungen doch höchst unlogisch. Der Einfall machte mir etwas Mut. Frierend rollte ich mich auf der schmutzigen Matratze zusammen und wartete. Wie viel Zeit vergangen war, konnte ich nicht mehr sagen. Es kam mir wie eine Ewigkeit vor. Irgendwann näherten sich Schritte, als ich fast aufgeben wollte. „Hilfe“, schrie ich aus Leibeskräften. Die Tür wurde aufgeschlossen. Er kam herein und stellte eine LED-Lampe in der Ecke ab. Erregt setzte er sich zu mir und hielt mir eine Dose Cola an den Mund. Ich trank gierig. In der Pappschachtel, die er mitbrachte, befand sich eine warme Pizza. Ich ließ mich auch von ihm füttern. Es erschien mir nicht ratsam, ihn zu verärgern. Ich musste erst versuchen, sein Vertrauen zu gewinnen. Und das konnte ich am ehesten, wenn ich kooperierte, dachte ich.

Er streichelte danach über meinen Körper und warf mich plötzlich derb auf den Bauch. Völlig überrascht blieb ich liegen. Einen Moment später fühlte ich, wie er in mich eindrang und schrie vor Schmerz laut auf. So hart hatte es mir noch keiner besorgt. Das kam einer *** gleich. Heftig stieß er in mich und mit Entsetzen spürte ich, wie eine Flüssigkeit in meinen Darm hineinlief, nachdem er gekommen war. Der dämliche Typ hatte keinen Gummi benutzt! Ich zitterte plötzlich wieder am ganzen Leib. „Verdammt, bist du verrückt? Das ist absolut mies! Wie kannst du das nur ohne Gummi machen!“ Er grinste. „Hey, Kleiner. Nun hab dich nicht so. Das geilt euch Strichjungen doch auf. Ich lass dich heute Abend wieder frei. Du kriegst auch noch etwas mehr Geld. Alles okay?“„Mein Arm tut weh, kannst du die Fesseln anders rum machen, wenn dir die Kette am Hals nicht reicht?“, fragte ich stöhnend. Er nahm den Handschellenschlüssel, befreite mich und zog meine Hände nach vorne. Dort schloss er sie leider doch wieder zusammen. „Damit du mir nicht abhaust. Wenn du pinkeln musst, dann kriech rüber in die andere Ecke. Ich lass dir die Lampe hier. Schreien kannst du übrigens, so viel du willst. Du bist tief unter der Erde und das ist ein verlassenes Gelände. Hier hört dich keiner. Wenn du brav bist, bring ich dich gegen Mitternacht wieder in die Stadt zurück. Ich will mich nur ausruhen, um dich noch mal benutzen zu können. Leg dich auch ein wenig hin und schlaf.“ Er gab mir einen Kuss und verschwand erneut. Ich lag allein in dem stinkenden Loch, dachte an Lukas und begann zu weinen. Nun war genau der Fall eingetreten, den ich bisher immer als Gruselmärchen abgetan hatte.

Es gab viele ehrliche Freier, die für Geld nur eine kurze Nummer wollten, vielleicht auch ein paar Fesselspiele bezahlten und dann relativ schnell fertig waren. Aber es gab auch Leute, wie ihn. Psychopathen, bei denen man nie wusste, was sie im Schilde führten. Es stellte ein enormes Risiko dar, in ein fremdes Auto zu steigen. Nicht nur für weibliche Nutten, sondern auch für Jungen und junge Männer. Ich hatte es noch nicht überstanden, das war mir plötzlich klar. Im Gegenteil, ich befand mich in akuter Lebensgefahr. Er wollte mich um Mitternacht freilassen, aber würde er das auch wirklich tun? Was, wenn er mit einem Messer zurückkam oder mit einer Schnur? Vielleicht wollte er mich nur noch etwas quälen und dann töten? Ich könnte ihn immerhin wegen Freiheitsberaubung anzeigen. Über den Gedanken musste ich selbst sarkastisch grinsen. Erstens würde ich nie zur Polizei gehen, denn dann käme mein Doppelleben heraus und ich würde Lukas mit hineinreißen. Und welcher Stricher würde das überhaupt tun? Da kamen doch auch Schamgefühle hinzu. Außerdem: Wo war die Grenze zwischen einvernehmlichem Sex, auch mit SM-Spielerei, und einer Straftat? Welcher Richter würde ihn verurteilen? Ich saß in der Falle und konnte nur auf seine Rückkehr warten. Wenn ihm bis dahin etwas passierte, war ich unweigerlich verloren. In der Ecke erleichterte ich mich kniend. Es war ekelhaft. Aus meinem Hintern lief zudem eine helle Flüssigkeit heraus. Aber meine Hände taten wenigstens nicht mehr so weh, weil ich die Handfesseln vor dem Bauch trug. Langsam stand ich auf. Ich kam mit der Halskette bis kurz vor die Tür und konnte sogar an ihr rütteln. Sie war natürlich von außen abgeschlossen. Die Lampe tauchte den kleinen Raum von vielleicht gerade mal acht Quadratmetern in ein fahles Licht. Mich schauderte, als ich an der Wand wirklich eingetrocknetes Blut kleben sah. Hier waren sicher noch mehr Jungen gefangen gewesen! Was war wohl mit ihnen geschehen? Hatte er auf dem Fabrikgelände möglicherweise Leichen verscharrt? Eiskalt lief es mir bei dem Gedanken den Rücken herunter. Ein vertrautes Geräusch drang an mein Ohr. So klang mein Handy, wenn ich eine SMS bekam. Handy? Ich hörte mein Handy? Hoffnung kam auf. Ich blickte mich um. An der Seite lagen meine Hose und darunter auch meine Jacke! Er musste die Sachen mit hereingebracht haben, als er mit der Pizza gekommen war. Ich vergaß den Halsring und sprang auf. Jäh durchzuckte ein heftiger Ruck meine Wirbelsäule, als ich zu meinem Zeug stürzen wollte. Die Länge der Kette passte nicht ganz. Ich kam nicht an meine Kleider heran. Bleib ganz ruhig, dachte ich und begann, mir selbst Mut zuzusprechen. Langsam kroch ich zurück und nahm den leeren Pizzadeckel in meine gefesselten Hände. Vorsichtig legte ich mich lang auf den Boden und versuchte mit der Pappe meine Sachen näher zu mir heranzuholen. Es klappte nicht sofort, aber beim dritten Versuch konnte ich endlich mit dem Finger meine Jacke ergreifen. Erleichtert zog ich daraus das Handy hervor. „Wo bleibst du“, fragte Lukas auf dem Display. Ich drückte auf seine Nummer. Entsetzt hörte ich die schwachen Klingeltöne. Das Netz war verflixt schwach. Ich dankte dem Herrn, als ich dann doch Lukas‘ vertraute Stimme hörte. Sie klang aber sehr abgehackt. „Ich bin irgendwo bei Hamburg in einem Keller auf einem alten verlassenen Fabrikgelände“, sprudelte ich los. „Ich bin eingesperrt und gefesselt. Der Freier will wiederkommen und mich um Mitternacht frei lassen, aber ich habe Angst, furchtbare Angst, Lukas!“, schluchzte ich. „Hilf mir! Hol mich hier raus! Bitte, Lukas, das ist kein Spiel, Leben“, schrie ich verzweifelt. „Ich will leben, hörst du!“

Dann war die Verbindung unterbrochen. Kein Netz, las ich und weinte hemmungslos. Zeit verstrich. Ich wusste nicht mehr, wie viele Stunden inzwischen vergangen waren. Ich hatte den Rest Cola getrunken und spürte wieder Durst. Irgendwann schlief ich erschöpft ein. Als ich erwachte, lag ich in meinem Hotelbett. Lukas saß bei mir und hielt meine Hand. „Alles okay, Kleiner? Du hast mir wirklich einen gehörigen Schrecken eingejagt.“ Wir heulten minutenlang und ich klammerte mich an Lukas. Er hielt mich beruhigend im Arm. Nach und nach erfuhr ich, dass Lukas zwar meinen Anruf erhalten hatte, aber nicht ganz schlau daraus geworden war. „Weißt du, als du das Codewort in den Hörer schriest, ahnte ich instinktiv, dass irgendetwas furchtbar aus dem Ruder gelaufen ist. Ich konnte dich nicht zurückrufen, weil kein Netz vorhanden war. Ich rannte deshalb sofort runter in den Park und fragte die Jungen dort. Keiner wusste was von dir. Milan war auch nicht mehr da. In meiner Not wandte ich mich an den Wirt der Dönerbude, der sofort zwei Zuhälter der Huren anrief. Die konnten mir Mut machen. Es gibt da ein altes Fabrikgelände, auf das deine Beschreibung passte. Oft fahren die Nutten mit ihren Freiern dorthin. Aber die bleiben stets in den Autos. Die Gebäude sind nämlich einsturzgefährdet. Die Zuhälter wissen auch von einem psychisch kranken Homosexuellen, der Richard heißt, und der sich wiederholt in ziemlich brutaler Weise an Strichjungen herangemacht hat. Er würde sie einsperren, vergewaltigen und quälen. Aber er hätte sie bisher immer wieder freigelassen. Manchmal tat es ihm leid und er bezahlte die Jungs im Nachhinein, sagten sie. Zu dritt sind wir zu dem alten Gelände gefahren. Auf unser Rufen rührte sich nichts. Wir wollten gerade wieder gehen, als einer von ihnen, ich glaube es war sogar Werner, den Schlüsselanhänger unseres Hotels auf der Erde fand. Du hattest das Teil am Tresen eingesteckt, erinnerst du dich? Zusammen haben wir daraufhin systematisch alle Gebäudeteile durchkämmt und standen plötzlich vor der verschlossenen Kellertür. Werner hat breit gegrinst, als er den Schlüssel für den Stahlkoloss an der Wand hängen sah, und sofort aufgeschlossen. Als wir dich in dem stickigen, fürchterlich stinkenden Raum fanden, war das wohl selbst für die hartgesottenen Jungs von der Reeperbahn ein Schluck zu viel aus der Buddel. Sie meinten, sie brauchten sich zwar nicht um ihre Mädels zu fürchten, aber Richards Verhalten könnte auch für die Jungen auf dem Kiez nicht mehr geduldet werden. Werner versprach mir, die Angelegenheit auf die bei ihnen übliche Weise zu erledigen.“ Ich sah Lukas dankbar an und drückte erleichtert seine Hand, die ich die ganze Zeit festgehalten hatte. Er hielt mich immer noch liebevoll im Arm. „Mein Bedarf an Strichermilieu ist fürs erste gedeckt“, sagte ich müde und schwach. „Willst du etwas trinken?“, fragte er. Ich nickte. Er stand auf und brachte mir ein Glas Orangensaft. Unser Hotelzimmer glich zwar immer noch einer Absteige, war aber sauber und erschien mir in diesem Moment wie ein Fünf-Sterne-Hotel. „Wenn du morgen fit bist, fahren wir nach Hause. Ich hoffe, Werner meldet sich noch. Er ist einer der Jungs, die uns geholfen haben. Hilfsbereite Kerle. Einer steht für den anderen ein. Sie zwingen ihre Frauen auch nicht. Ihre Huren arbeiten freiwillig und teilen den Verdienst. Das wusste ich gar nicht. Man hat oft ein ganz falsches Bild“, erzählte Lukas. In dem Moment klingelte sein Handy. Werner war dran. Es wäre alles unblutig geregelt. Ohne Polizei. Die brauchte man bei ihnen nicht. „Was ist mit Richard?“ „Es geht ihm gut. Er ist in der Psychiatrie, wo er auch hingehört.“ Er hatte sich selbst eingewiesen, nachdem Werner und seine Freunde ihn vor die Wahl stellten: entweder ohne Blessuren freiwillig in die Klapsmühle oder unfreiwillig mit diversen Knochenbrüchen über den Umweg aus der Uniklinik. Richard war zwar krank und behindert, aber nicht so dumm, dass er nicht verstanden hatte. So ließ er sich ins Landeskrankenhaus bringen. Dort kannte man ihn schon und als Werner der Ärztin unter dem Siegel der Verschwiegenheit den Grund für seine Aufnahme erzählte, versprach diese alles zu tun, damit Richard keinen Schaden mehr anrichten konnte. Lukas gab mir das Handy. Ich bedankte mich bei Werner und den anderen, lud sie alle auf meine Kosten zu einem Umtrunk ein und bot ihnen jegliche Hilfe an, falls sie uns auch mal brauchen sollten. Werner lachte und wiegelte ab. Ich sollte erstmal nach Hause fahren und mich von dem Schrecken erholen. Wenn ich nach meiner Operation endlich ein richtiger Kerl wäre, würden wir im Döner meine Rettung feiern. Überdreht fröhlich sagte ich zu und beendete das Gespräch dankbar. Die nächsten zwei Wochen wurden die bangsten und schrecklichsten unseres Lebens. Richard hatte mich ohne Schutz ***. Wir wussten ja nicht, ob er womöglich Positiv war. Ich weinte, vergrub mein Gesicht in Lukas‘ Schoß. Wenn sich herausstellte, dass ich mir eine HIV-Infektion zugezogen hatte, würde ich wahrscheinlich nicht mehr operiert werden können. Ich hatte mit dem Feuer gespielt und meine Neigungen in einer Weise ausgelebt, die am Rande des Zulässigen lag. Wenn jetzt alle Stränge rissen, hätte ich mir meinen Lebenstraum selbst durch ein exzessives Sexualverhalten zerstört.

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