Erotisches zur Nacht (Part IV)

[Multimillionär]

Nur das Nebelhorn bläst den dichtblassen Schleier zwischen den Rädern des Zuges hinweg. Ein dunstiges Grau, das nach oben schwebt und fast schon jede Sicht versperrt. Ein dröhnendes Anfahren und Rasseln der Räder, bis der Zug sich bewegt - allein und ohne mich. Ich steh vor den Gleisen dieser mir noch fremden Stadt und spüre dennoch, dass Vertrautes mir begegnet. Der Maschinennebel senkt sich und aus der Ferne erblicke ich näherkommend jene Gestalt, von der ich instinktiv weis, dass nur Du es sein kannst und Du es sein musst. Unsicherheit; Wie werde ich reagieren? So wie es mir eigen ist: Ich werde still und ganz ruhig, angespannt und aufmerksam. Ich schließe für einen Moment die Augen und spüre wie das zweite Ich aus mir dringt. Mein Körper strafft sich und mit langem Mantel schreite ich Dir entgegen in den Nochnebel hinein. Nur noch wenige Schritte, man kann sich schon sehen. Ich erkenne Dein noch unsicheres Lächeln, dem meinen gefolgt. Mit jedem Schritt wird die Entfernung kleiner, die Konturen des Anderen schärfer, näher, persönlicher, unwiderruflicher. Für einen kurzen Augenblick bleiben wir stehen - ein vorletztes Mal bis die endgültige Entschlossenheit geboren ist, nun auch noch diesen letzten Schritt zu gehen.

Wir stehen einander gegenüber, sagen nichts, lächeln fast verlegen nur und dort wo andere Menschen mit einem "Hallo!" beginnen, tasten sich unsere Blicke einander ab. Ich könnte so viel entdecken, so viel Wunderbares erfahren, doch meine Blicke haben sich in Deinen Augen gefangen. Sie lesen, dringen ein, tiefer und tiefer. Sie fragen nicht mehr, sondern erspüren nur noch Gefühl. Endlos lang. Nun habe ich Dich gefunden. Fast lächerlich unsere Bemühungen aus diesem virtuellem, süßen Dschungel der weitgeöffneten Leidenschaften hinauszutreten ins reale Leben hinein. Dieses Gefühl, das Gesicht, der Geruch und die Hände - das erste vorsichtige Treffen schon zu unvorsichtig beendet ... kein Ende in Sicht!

Wir schweigen und nein, ich bitte nicht um Erlaubnis, könnte es auch gar nicht mehr, sondern lasse meine Hände sanft die Konturen Deines Gesichtes finden, Millimeter um Millimeter zaghaft, forschend, bis sie Dich nur noch näher an mich binden. Augen an Augen, Stirn an Stirn und sich fast schon unsere geschlossenen Lider berührend. Ich fühle Deinen Atem in der Reglosigkeit, in dieser Anspannung die auf Dich übergeht und in dieser mittelbaren Nähe, lese ich zum ersten Mal Deine eigenen, tiefsten Wünsche im Jetzt und Hier.

Die Magie des Augenblicks lässt das Sein mit dem Schein verschmelzen; eine Magie der wilden Herzen.

So unglaublich nah und doch so fern. So unfassbar echt und doch einst nur entworfen in der scheinbaren Virtualität.

Wir fangen an uns zu entmaterialisieren, uns zu digitalisieren, den Körpern zu entfliehen, die uns so lange voneinander trennten. Ich fühle das Aufbäumen Deiner gespeicherten Lust. Deine Hände nie berührt und sie dennoch auf meinem Körper gespürt. Deine Brust nie berührt und doch Dein Herz schlagen gehört. Dein Lachen nie gesehen und dennoch hat es mich verführt. Ein Wunder!

Ausgezogen habe ich mich vor Dir und Du Dich vor mir. Nie haben sich unsere Hände derart berührt und doch ist heißes Wachs aus ihnen auf unsere Brüste geflossen. Gespürt, getragen, erlöst, durch die Hölle geschickt und im Himmel empfangen. Unsere Hitze gespürt und unseren Schweiß geschmeckt. Eingetaucht in die Erwartungen des Anderen, sich bemüht, gepeinigt, geliebt, zerkratzt, geschlagen und gepflegt – liebevolles Lecken jeder einzelner Stellen unserer lustbeträufelten Haut – ein sich Öffnen und Ergeben. Aus Dir getrunken, bis Du zu trunken in all den Sinnen versunken bist. Zu viel voneinander gekostet in nur diesem einen Augenblick.

Ich wache auf und meine Augen erheben sich scheu von den Wirkungen all dieser gefühlt erlesenen Gedanken. Ich stehe immer noch vor Dir, Stirn an Stirn, wortlos im Nebelhauch des Bahngleises dieser für mich neuen Stadt. Ich könnte wenn ich wollte, doch Wollenkönnen kann ich nicht, noch fehlt mir der Mut mich zu trauen. So umschließe ich Dich sanft in meiner Begrüßung, blicke Dich zärtlich an und sage nur leise: „Komm, lass uns gehen!“.

Diodatis